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Advents-Ausflüge ins Weihnachtswunderland

 



Sachsen-Anhalt

Advents-Ausflüge ins Weihnachtswunderland

Zu Hause ist´s doch am schönsten – und besonders dann, wenn aus Gemütlichkeit und Herzlichkeit schöne Begegnungen werden. Tipps für die kleinen vorweihnachtlichen Freuden in unserer Heimat lesen Sie hier.

  • 1. Schloss Altenhausen

    Foto: Schloß Altenhausen

    Der „Märchenzauber auf Schloss Altenhausen“ findet am 1. Adventswochenende statt: 29. und 30.11. Im Schlossinnenhof gibt es neben leckeren Spezialitäten und Handwerksarbeiten Aktionen wie Bogenschießen, Ponyreiten und Zinngießen. Große Feuerschalen lassen eine besondere Stimmung aufkommen. In der gräflichen Halle gibt es neben Kuchen auch Weihnachtsaufführungen für Groß und Klein.

  • 2. Haldensleben

    Foto: Stadt Haldensleben

    Sie mögen es außerdem sportlich? Dann wäre ein Besuch in Haldensleben etwas für Sie. Der Sternenmarkt mit Eisbahn wird vom 6. bis 21.12. geöffnet sein. Dort kommen Kufenfreunde auf ihre Kosten. Außerdem läutet ein großer, liebevoll gestalteter ­Adventskalender an den Fenstern der Markthäuser die vorweihnachtliche Zeit ein. Täglich kommt um 17 Uhr der Weihnachtsmann und steigt auf der Leiter seiner historischen Feuerwehr empor zum Kalenderfenster und öffnet es.
  • 3. Egeln

    Foto: Wasserburg Egeln

    In Egeln wird´s doppelt weihnachtlich. Am Nikolaustag, 6.12., erwartet der traditionelle, kleine feine Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz vor dem Rathaus seine Gäste. Der Nikolaus wird auf einem Motorrad erwartet und Kinder dürfen kostenfrei mit dem Nostalgie-Riesenrad und dem Karussell fahren. Welch´ eine Vorfreude! Am Sonntag, dem 14.12., finden die „Romantischen Burgweihnachten“ in Egeln statt. Auf dem kleinen Markt gibt es allerlei Leckereien aus Taverne und Backstube, Imkerhonig und kleine Weihnachtsgeschenke. Das Vereinshaus des Fördervereins Wasserburg verwandelt sich in ein romantisches Café mit Kaminfeuer. Die Burgpuppenbühne spielt stündlich für große und kleine Kinder. Am Abend kommt der Burg­herr Otto von Hadmersleben mit Spielleuten, um die artigen Kinder zu beschenken.
  • 4. Quedlinburg

    Foto: Quedlinburg Tourismus-Marketing GmbH

    Musikalisch geht’s im Harz zu: „Quedlinburg singt“ am 19.12. um 17 Uhr – gemeinsam mit dem Fritz-Prieß-Chor und dem Posaunenchor der Kirchengemeinde. Auch an anderen Tagen, vom 26.11. bis 22.12., zeigt sich die Harzstadt stimmungsvoll: Der Weihnachtsmarkt bietet mit mehr als 50 Ständen kulinarische Feinheiten bis Kunsthandwerk, außerdem ein buntes Weihnachtsprogramm auf der Bühne und eine zauberhafte Lichtinstallation am Mathildenbrunnen.
  • 5. Aschersleben

    Zu einem gemütlich-adventlichen Ort wird auch der Marktplatz Aschersleben: Vom 28.11. bis 21.12. findet der dortige Weihnachtsmarkt statt: Fürs Schlendern und Genießen, geselliges Glühweintrinken und entspanntes Plaudern.
  • 6. Hettstedt

    Foto: www.hettstedt.de

    Ein schon traditioneller Treffpunkt in der Adventszeit ist die Kupferstadt Hettstedt mit ihrem „Advent in den Kupferhöfen“. Der Advent- und Weihnachtsmarkt findet vom 19. bis 21.12. auf dem Marktplatz statt. Das Besondere ist die Freitagsveranstaltung am 19.12. von 17 bis 23 Uhr, die auf den Kupferhöfen stattfinden wird.
  • 7. Höhnstedt

    Am 30.11. lädt in Höhnstedt in der Gemeinde Salzatal der „Advent in den Höfen“ zur weihnachtlichen Vorfreude. Höhnstedt gilt als nördlichstes Weinanbaugebiet und zudem als größtes Aprikosenanbaugebiet Deutschlands. So wird sicher nicht nur der heimische Winzerglühwein ein Lächeln ins Gesicht zaubern, sondern auch die vielen weiteren Köstlichkeiten. Kleiner ­Geheimtipp ist der Kreativmarkt im Festsaal.
  • 8. Weißenfels

    Foto: David Cray

    In der Saalestadt Weißenfels lädt der Weihnachtsmarkt vom 27.11. bis 21.12. zum adventlichen Treiben ein. Um den prächtig geschmückten Weihnachtsbaum gesellen sich Verkaufsstände, ein Handwerkerdorf, Märchenhütten, Kinderkarusselle, eine große Pyramide mit liebevoll gestalteten Figuren und die riesige Eislaufbahn. Zusätzlich dazu: Zur „Höfischen Weihnacht“ am ersten Advent, 30.11., öffnen historische Höfe ihre sonst verschlossenen Tore für Besucher. Und am dritten Advent, 14.12., wird ein Handwerkermarkt an der Kirche Sankt Marien abgehalten. Werfen Sie dabei gleich einen Blick in die Kirche: In ihr befindet sich eine wertvolle Orgel, die der bedeutende deutsche Orgelbauer Friedrich ­Ladegast 1862 bis 1864 einbaute.
  • 9. Hohenthurm (Stadt Landsberg)

    Kleiner Weihnachtsmarkt am 29.11.
  • 10. Zahna-Elster

    Weihnachtsmarkt im Bauernmuseum, ­Hospital und in den Höfen, 29.11.
  • 11. Annaburg

    Foto: Förderverein Annaburger Porzellaneum e. V.

    Am 14.12., 14:00 bis 17:00 Uhr, findet der­ „Musikalische Sonntagskaffee“ statt – ein Weihnachtskonzert des Forstlichen Gesangsvereins. Treffpunkt ist das Porzellaneum Annaburg, das ohnehin der perfekte Ort zur Vorweihnachtszeit ist. Feine Porzellan-Geschenkideen inklusive. Der Anna­burger Weihnachtsmarkt auf dem Hof des Vorderschlosses findet am 7.12. statt.

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„Unsere Infrastruktur wird zerstört“

 



Glasfaserausbau: Verbände schlagen Alarm

„Unsere Infrastruktur wird zerstört“

Der Glasfaserausbau wird überall massiv vorangetrieben. Was als notwendige und mancherorts überfällige Maßnahme begrüßt wird, sorgt vielerorts für Ärger.

Grafik: pixabay

Wenn Kabel mit einer Erdrakete in die Erde gebracht werden, kann es zu ­Havarien kommen. Wie in Staßfurt, wo eine Trinkwasser­leitung durchschossen wurde.

Foto: WAZV Bode-Wipper

In den Straßen aller Kommunen befinden sich Medienträger. Strom- und Gasleitung teilen sich ganz oder abschnittsweise die Trassen mit Trinkwasserleitungen, Abwasserkanälen und Kabeln für Telekommunikation. Wo was liegt, wird genaustens dokumentiert. Kommt ein Element dazu oder muss repariert werden, müssen Abstände und Tiefen eingehalten werden. Da dies der Standard ist, stehen die Wasserversorger und Abwasserentsorger in Sachsen-Anhalt den Vorgängen beim Glasfaserausbau fassungslos gegenüber.

„Die Firmen haben da einfach losgebuddelt“, sagt Stephan Sterzik, Verbandsgeschäftsführer des AZV Wipper-Schlenze. Schachtscheine, die über bestehende Leitungen informieren, werden oft nicht eingeholt, Kabel dennoch in die Erde gebracht. Dies geschieht auf zwei Arten. Bei der offenen Bauweise werden Straßen oder Fußwege geöffnet und Kabel hineingelegt. Bei der geschlossenen wird gebohrt und mit einer Erdrakete das Kabel durch den Boden geschossen.

Lauter Schäden

Eine solche Rakete traf in Borne bei Staßfurt ein Hauptkabel der Straßenbeleuchtung. „Da war es dann für einen längeren Zeitraum zappenduster“, erzählt Andreas Beyer, Verbandsgeschäftsführer des WAZV Bode-Wipper. Beyer kann von noch mehr Ärgernissen berichten. Wie etwa zerschossenen Trinkwasserleitungen. Auch ein Abwasserkanal wurde getroffen.  „Das merkt die Erdrakete nicht“, so Beyer. Da könne man nur hoffen, dass mal keine Gasleitung getroffen wird.

Dies sind „Glücksfälle“, da Schäden schnell bemerkt wurden. Thomas Giffey, Geschäftsführer des WAZV Jessen, befürchtet, dass Schäden an Abwasserkanälen sowie Hausanschlüssen erst Jahre später durch Verstopfungen oder durch Kamerabefahrung festgestellt werden können. Verantwortliche sind dann nicht mehr greifbar. Markus Hänsel, Technischer Leiter des WAZV Saalkreis, berichtet, dass keine Bestandsdokumentation hinterlassen oder Mindestabstände eingehalten werden. „Die legen ihre Leitungssysteme auf unsere, sodass wir in Zukunft Probleme haben werden dranzukommen“, so Hänsel. Oder es könnte zu Schäden an den Glasfaserkabeln bei Baumaßnahmen kommen.

Keine Absprachen möglich

Selbst wenn das Verlegen ohne Schaden verlaufe und Abstände stimmen, werden Straßendecken und Fußwege beschädigt. Sinnvolle Absprachen funktionieren selten. Straßen werden aufgerissen, nachdem eine Decke gerade geschlossen wurde. Der Idealfall, bei dem an bereits durch Baumaßnahmen offenen Straßen Hand in Hand gearbeitet wird, findet in den seltensten Fällen statt. Meist würden die Firmen nicht in offener Weise wie die Verbände bauen, sondern lieber bohren. „Wenn Gehwege oder Straßen dann unterspült sind, sind die Firmen nicht mehr greifbar. Wir bleiben auf den Kosten sitzen“, so Mario Pöschmann, Vorstand der Abwasserbeseitigung Weißenfels-AöR.

Im Saalkreis wurde ein Verteilerschrank ­direkt auf eine Trinkwasserleitung gesetzt. Das Ergebnis war ein Rohrbruch.
Foto: WAZV Saalkreis

Um günstig und schnell arbeiten zu können, heuern die beauftragten Firmen meist Subunternehmer aus dem Ausland an. „Oft sind die Leute der deutschen Sprache nicht mächtig“, erzählt Sterzik, sodass ein Austausch nicht stattfinden könne. „Die Sprachbarriere ist ein Problem“, bestätigt Hänsel. Die Kollegen aus den anderen Verbänden haben ähnliche Erfahrungen gemacht.

Es geht auch anders

Es kann auch etwas bedachter verlaufen, wie etwa in Bad Dürrenberg. Zwar tauchen auch da Probleme auf, aber, so berichtet Martin Dobischok, Technischer Leiter des ZWA Bad Dürrenberg, gäbe es Faktoren, die größere Ärgernisse vermeiden. So sei die Stadt sehr hinterher, den Ausbau mit wöchentlichen Bauplanungssitzungen zu begleiten. Eine nicht immer akkurat schießende Erdrakete sei bisher nur selten zum Einsatz gekommen. Das größte Problem sei, dass Straßendecken nicht ordentlich verschlossen werden. Auch dort wundere man sich über die Freiheiten der Firmen. Ob Arbeitsschutz, Baustellensicherung oder verkehrsrechtliche Anordnungen – die sonst üblichen Vorschriften scheinen nicht zu greifen. „Es läuft alles ein bisschen wild“, sagt Dobischok.

Beyer schlägt auch deshalb Alarm, weil noch lange nicht alle Glasfaserkabel in der Erde sind. „Hier wird unsere Infrastruktur zerstört.“

Das Ziel in Sachsen-Anhalt: 100 Prozent Gigabit bis 2030

An sich ist der Glasfaserausbau von allen Seiten gewollt. Die Gigabitstrategie 2025–2030, wie das Land Sachsen-Anhalt den Ausbau von Mobilfunk und Glasfaser auf s­­einer Webseite bezeichnet, soll bewirken, dass bis 2030 alle Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen werden können und die Gigabitquote erreichen. Das würde den Zugang zum Internet mit einer Downloadrate von 1.000 Mbit pro Sekunde für alle sicherstellen. Um das ambitionierte Ziel durchzusetzen, nutzt Sachsen-Anhalt laut der Landeswebseite rund 30 Unternehmen vom regionalen Anbieter für Telekommunikation bis zum Weltkonzern.

Dies sei eine „Erfolgsgeschichte durch eigenwirtschaftlichen Ausbau“. Die Strategie „weiße Flecken“, Gebiete, die noch kein „schnelles“ Internet haben, zu entfernen, klingt beim Ministerium für Infrastruktur und Digitales einfach und optimistisch. Doch in der Praxis sorgt sie für Ärger und Schäden. Gerade im ländlichen Bereich steht ein großer Teil des Ausbaus noch bevor.

Ende 2024 lag in größeren ­Städten des Landes, wie Magdeburg oder Halle (Saale) sowie Stendal und Salzwedel die Quote bei über 80 Prozent. In Mansfeld-Südharz lag sie bei 32,7 Prozent, im Salzlandkreis bei 42,3 Prozent und Wittenberg bei 45 Prozent. Welche Orte genau wie viele Kilometer Glasfaser bereits in den Straßen liegen haben, ist in der Statistik des Ministeriums nicht aufgeschlüsselt.

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Skisprunglegende Jens Weißflog im WASSERZEITUNGS-Interview

 



SACHSENS PERSÖNLICHKEITEN

„Ich möchte hundert Jahre alt werden“

Skisprunglegende Jens Weißflog im WASSERZEITUNG-Interview

Jens Weißflog hat alles gewonnen. Er siegte bei Olympia 1984 in Sarajevo und 1994 in Lillehammer, war Weltcupgesamtsieger und gewann vier Mal die Vierschanzentournee. Seine Fangemeinde ist nach wie vor riesig, der Beifall über seine Erfolge ungebrochen. Das findet selbst Überflieger Weißflog verrückt. Mit der WASSERZEITUNG hat er über die Faszination des Skispringens, einen hellgrünen Trabbi und über den Wandel im Erzgebirge gesprochen.

Jens Weißflog ist der erfolgreichste deutsche Skispringer. Seine Fans mögen
seine Heimatverbundenheit, seine humorvolle und besonnene Art.

Foto: Jens Weißflog

Herr Weißflog, Sie sind rund 21.500 Mal von einer Schanze gesprungen. Ist Skispringen hauptsächlich die Kontrolle über Angst oder maximale Konzentration, wenn es mit über 90 km/h durch die Lüfte geht?

Jens Weißflog: Es ist zu neunzig Prozent wie Autofahren. Es sind Abläufe, die gegenwärtig sind und über die man nicht weiter nachdenkt, wie, wenn man im Auto einen Gang höher schaltet. Die anderen zehn Prozent sind Gegebenheiten, die die Routine beim Sprung auseinanderpflücken können. Der größte Störenfried eines perfekten Sprunges heißt Wind. Man sieht ihn nicht, sondern man spürt nur diese mächtigen Kräfte, die da wirken. Jede Windsituation ist neu und das bringt Unsicherheit. Es gab Momente, da betrachtete ich den Wind in den Bäumen und wusste: Heute ist kein guter Tag für einen Absprung.

Wie kamen Sie zum Skisprung?

Hier im Erzgebirge wurde früher wie heute Ski gefahren. Als Sportaktivität rückte für mich in erster Linie die Nordische Kombination in den Fokus. Doch zum Laufen war ich zu faul. Somit blieb es beim Skisprung. Als Kind baute ich mir kleine Schanzen, mit einem Meter Weite hatte es angefangen. Als ich dann zur Kinder- und Jugendsportschule in Oberwiesenthal kam, stand für mich fest: „Ich will Olympiasieger werden“. Mein Idol, der Oberwiesenthaler Ulrich Wehling, der dreimal Olympiasieger in der Kombination wurde, bekam als Preis einen neuen Wartburg. Das Auto wollte ich auch. Ich konnte mir – nach meinem Sieg in Sarajevo – einen hellgrünen Trabbi kaufen. Immerhin ohne Wartezeit und mit Sonderausstattung.

Es gab in Ihrer Kindheit aber auch Ballettambitionen hört man…

Als Kind habe ich das gern im Fernsehen gesehen. Die Sprünge der Eiskunstläufer fand ich toll und probierte sie selbst im Wohnzimmer aus: Von der Türschwelle bis rüber zum Teppich.

Ihr erster Olympiasieg war 1984 in Sarajevo. Alle DDR-Sportler fuhren 36 Stunden mit dem Zug ins damalige Jugoslawien – statt zwei Stunden zu fliegen. Hatten Sie damals innerlich mit dem Kopf geschüttelt?

Die Zugfahrt empfand ich als angenehmen. Trainingsmethodisch war so eine lange Reise natürlich völliger Irrsinn, weil wir Sportler uns kaum bewegen konnten. In einem der Waggons gab es eine Art Trainingsraum mit Fahrradergometern auf denen sich alle Sportler abwechselten. Die Zugreise hielt die DDR möglicherweise für sicherer. Ein Jahr zuvor, zu den vorolympischen Wettkämpfen, saßen wir jedenfalls im Flugzeug zu den Austragungsstätten.

Wer war in Ihrer Karriere ihr engster Vertrauter, Ihr größter Unterstützer?

Mein Trainer Joachim Winterlich. Er war viele Jahre mein Motivationscoach und Technikberater, erst im Parallel-, dann bei der Umstellung auf den V-Stil. Wir durchlebten gemeinsam alle Höhen und Tiefen. Mit ihm feierte ich meine ersten Erfolge. Ich bin ihm sehr dankbar. Eine Zeitung betitelte ihn zu Recht als „Skisprung-Jahrhundert-Trainer“.

Rückblickend, was war Ihr bester Sprung?

Das war mein letzter Sprung am 15. Juni 1996 von der Fichtelbergschanze. Das Abschiedsspringen auf meiner Hausschanze war als Geste an meine Fans gedacht. Ich hatte extra dafür trainiert und wollte mich nach 15 Jahren Spitzensport verabschieden. Es gibt wenig Sprünge, bei denen alles passt, wo man alles fühlt, doch an diesem Tag war alles perfekt. Das hat mit der Psyche zu tun. Die Anspannung in den Wettkämpfen war immer extrem hoch, man ist wie in einem Tunnel. Nun war der Druck weg, ich war frei, frei von Erwartungshaltungen. Ich sprang an diesem Tag zweimal Schanzenrekord von 102 Metern. Den Tagessieg überließ ich jedoch Janne Ahonen.

Welchen Sprung haben Sie total vermasselt?

Mehrere (lacht). 1987 lief es für mich in Oberstdorf auf der kleinen Schanze nicht gut, ich verhaue und war auf dem 18. Platz. Mein Trainer machte mir Mut, sagte, der Wind ließe nach. Ich dachte, lass ihn erzählen…Aber es stimmte, letztendlich sprang ich dann Durchgangsbestweite. Am Ende fehlte aber ein halber Punkt und ich wurde Fünfter. Man beißt sich in solch einer Situation in den Hintern.

Leistungssport in der DDR war extrem gelenkt, gesteuert. Wie war das für Sie?

Das war kein reales Leben, ich lebte damals wie in einer Blase. Für uns Leistungssportler wurde alles organisiert. Wir wurden rundherum geschützt, das war ein eigenständiges System. Man ist stark auf sich fokussiert. Meine Erfolge und die von anderen Sportlern waren für die DDR Mittel zum Zweck: Die Überlegenheit gegenüber Gegnern des Systems.

Bei Interviews zu DDR-Zeiten im Westfernsehen waren Sie nie allein mit dem Moderator. Kamen sie sich bevormundet vor?

Ich kannte das nicht anders. Eine Episode, die ich wirklich befremdlich fand war diese: Mein erster Besuch im „Aktuellen Sportstudio“ 1985 zur Weltmeisterschaft. Beim Interview saß der Generalsekretär des DDR-Skiläuferverbandes neben mir. Für die Auftritte gab es Geld, rund 200 D-Mark. Er sagte dann, dass wir das nicht annehmen, die DDR sei nicht käuflich. Ich dachte nur, oh Mann, davon hätte ich mir doch eine gute Bohrmaschine oder etwas anderes kaufen können.

Finden Sie es schade, dass Ihre aktive Zeit, Ihre vielen Erfolge, vorbei sind?

Nein. Aber sportliche Ereignisse – zum Beispiel bei Olympia 2024 in Paris – berühren mich nach wie vor. Wenn Sportler auf dem Siegerpodest stehen, egal welcher Sport, werde ich emotional. Ich weiß, wie hart man für seine Erfolge trainieren muss.

„Er ist unser Held“, „Wir sind so stolz auf ihn“- das sagt Ihre große Fangemeinde auch heute noch. Wenn Sie den Raum betreten, applaudieren die Leute. Wie erklären Sie sich das?

Oft denke ich: Das ist wirklich verrückt. Vielleicht ist es die Faszination des Skispringens, nur wenige probieren das mal aus. Heutzutage ist vieles so schnelllebig geworden, viele erfolgreiche Sportler werden im Marketing und in der Medienlandschaft schnell verbrannt. Ich kann es mir nur so erklären: Früher hatte man mehr Zeit zum gemeinsamen Fernsehen. Der Wintersport war damals ein Familienereignis und viele erinnern sich daran zurück. Nach meiner Sportlerkarriere war ich noch lange für die Zuschauer als Skisprung-Experte beim ZDF präsent.

Sie werden ab und zu der „Floh vom Fichtelberg“ genannt – woher kommt der Ausdruck?

Jeder hier im Erzgebirge hat einen Spitznamen, der große Floh – das war mein Bruder – und ich war eben der kleine Floh. Der „Floh vom Fichtelberg“ ist also keine Idee von Sportkommentator Heinz Florian Oertel!

Vom Sportler zum Gastgeber, haben Sie sich mit Ihrem Hotel neu erfunden?

Im Fokus meines Lebens war immer das Skispringen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich nach meiner Sportkarriere machen wollte. 1995 begann meine letzte Saison, in diesem Jahr gab es auch die Idee zu einem Hotel unter meinem Namen. Mehrere Gesellschafter und ich kauften das „Mielke-Heim“, das ehemalige Ferienheim der Staatssicherheit, hier in Oberwiesenthal von der Treuhand und bauten es bis Herbst 1996 um. Einst hatte ich auch Ideen in Richtung Gesundheitssport und einem Gesundheitscenter.

Sie haben den Dalai Lama getroffen, zahlreichen Politikern die Hand geschüttelt, mit Stars geplaudert. Welches Erlebnis werden Sie nie vergessen?

Jede einzelne Begegnung bleibt in Erinnerung. Doch etwas ganz Besonderes war die Kubareise nach meinem Olympiasieg in Sarajevo. Alle erfolgreichen DDR-Sportler waren vier Wochen mit der „Völkerfreundschaft“ – der AIDA des Ostens – unterwegs. Wir Sportler fühlten uns in einer Gemeinschaft, Party inklusive. Auf dem Schiff waren rund ein Drittel Sportler – und zwei Drittel Funktionäre. Es war trotzdem eine sehr schöne Zeit. Aber keine Reise ohne Training: zwei Mal am Tag machten wir Sport.

Hatten Sie bei Wettkämpfen einen Glücksbringer dabei?

Ganz ehrlich, Sportler glauben an jeden Quatsch! Ich hatte einen Pullover mit einem Tigerkopf immer dabei – ich wollte bissig sein, mich durchbeißen. Außerdem habe ich zuerst den linken und dann den rechten Schuh vor Wettkämpfen angezogen.

Stichwort Erholung und Tourismus im Erzgebirge. Was hat sich verändert?

Die Natur hier am Fichtelberg ist etwas Besonderes. Wir haben hier keinen Massentourismus, es gibt noch Stille und Ruhe. Viele, die hierherkommen, wollen sich im Sommer von der Hitze in den Städten erholen. Wir haben manchmal bis in den Juli hinein kühle Abende. In puncto Wintersport gibt es hier noch viel Potenzial. Früher war es so: Wir haben uns nach der Natur gerichtet. Wenn der Schnee kam, sind wir Ski gefahren, heute muss der Schnee pünktlich zur Urlaubszeit parat sein. Unser Skigebiet muss dringend modernisiert werden. Die Wintersportler wandern nach Tschechien ab, denn Schlepplifte sind nicht mehr angesagt, die Leute wollen bequem per Sessellift auf den Berg. Das andere: Skifahren ist teurer geworden, auch im Nachbarland. Einige lehnen es aus moralischen Gründen, aus Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten, ab. Der Trend geht Richtung wandern und vor allem rodeln, doch auch dafür braucht es Schnee. Seit dem Jahr 2000 haben wir in der Region weniger Niederschläge und die Kälteperioden werden kürzer.

Zu Ihrem 60. Geburtstag haben Sie Ihr Museum mit all den Pokalen und Erinnerungen eröffnet, haben Sie noch weitere Pläne auf Lager?

Ich habe viele Ideen zum Umbau des Hotels. In einigen Jahren möchte ich allerdings hier nur noch Hausmeister sein, den Rasen mähen und ich komme zum Kaffeeklatsch vorbei. Zu meinem 60. Geburtstag wurde mir klar, wie schnell die letzten zwanzig Jahre vorbei gingen. Ich fragte mich: Was möchte ich in der mir verbleibenden Lebenszeit machen? Die Antwort: Vor allem geht es mir um viele Erlebnisse, gemeinsam mit der Familie. Und ich möchte gern hundert Jahre alt werden. Dafür muss ich aber etwas mehr Sport machen…

Magisch schön: Der Fichtelberg im Winter.
Quelle: Pixabay/Schmolle

Skispringer

Auf einen Sprung… mit Jens Weißflog

Pöhla bedeutet für mich… Heimat.

Das Erzgebirge ist… traditionelle Verbundenheit.

Skispringen ist… nicht gefährlich.

Mit der Fichtelbergschanze verbinde ich… meinen letzten Sprung am 15.Juni 1996.

Parallel- oder V-Stil? Beides gut.

Sarajevo (1984) oder Lillehammer (1994)? Das eine nicht ohne das andere.

Oberwiesenthal, Bischofshofen und Lillehammer, Sarajevo, Holmenkollen, Ihre Lieblingsschanze ist… Es gibt keine.

Darüber bin ich froh… Mal nichts zu tun.

Worüber können Sie lachen? Über gute Witze.

Mein Lebensmotto ist… Hoch fliegen, aber trotzdem auf dem Boden bleiben.

In zehn Jahren bin ich… glücklicher Rentner.

Ihr Tipp am Fichtelberg? Der Berg selbst mit seiner Natur.

Einer meiner emotionalsten Momente war… Lillehammer, Großschanze.

Diesen Winter möchte ich unbedingt… viel Schnee schaufeln.

Leistungssportrentner sein heißt… den Körper nicht mehr zu quälen.

Weltmeistertitel und Olympisches Gold sind für mich… der Gipfel des Erfolgs.

Vielen Dank für das Interview!
  • Nordische Skiweltmeisterschaft 1985 in Seefeld

Viele Pokale und beeindruckende sportliche Momente: Am 21. Juli 2024 eröffnete Jens Weißflog in seinem Hotel ein Museum, das an seine Erfolge erinnert.
Fotos: SPREE-PR/Wolf; S/W: werek Bildagentur

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Unser Wasser – eine wahre Gemeinschaftsaufgabe

 



Brandenburg

Unser Wasser – eine wahre

Gemeinschafts­aufgabe

Im Fußball stehen elf Mann pro Team auf dem Feld. In den Unternehmen der kommunalen Wasserversorgung reichen die „Mannschaftsstärken“ von wenigen Dutzend bis mehreren Hundert Beschäftigten. Die zu bewältigenden Herausforderungen sind jedoch ausnahmslos für alle gleich. Gut, dass in der Branche Teamgeist herrscht! Das hymnenhafte „You’ll never walk alone“ (Du wirst niemals alleine gehen) aus dem Fußball gilt ebenso in der Wasserwirtschaft.

Montage/Foto: SPREE-PR

Fast 130 Unternehmen beteiligten sich im Juli an einer Umfrage ihres Branchenverbandes VKU. Unter dem Titel „Hitzesommer 2025“ wollte der Verband kommunaler Unternehmen in Erfahrung bringen, wie seine Mitglieder den wachsenden Herausforderungen für eine klimaresiliente Wasserversorgung trotzen. Eines der zentralen Ergebnisse: 53 % setzen auf mehr Kooperation mit benachbarten Versorgern. Dass es hierbei um keine wage Absichtserklärung, sondern gelebte Praxis geht, beweisen die Herausgeber dieser WASSERZEITUNG. Im Trinkwasserverbund Niederlausitz – gegründet für eine resiliente Wasserversorgung im Ballungsraum Cottbus – finden sich unter anderem die LWG Cottbus, der GWAZ Guben und der WAC Calau zusammen. Im sächsisch-brandenburgischen Trinkwasserverbund „Lausitzer Revier“ bringt der WAL Senftenberg seine Expertise ein.

Alles Engagement dient dem Ziel, die öffentliche Wasserversorgung vor Engpässen zu bewahren. Apropos. In der eingangs erwähnten Umfrage sehen 85 % es als vordringliche Aufgabe der Politik an, den Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung durchzusetzen.

Strategisch Not vermeiden

Die Wasserwirtschaft könne problemlos kooperieren, betont Felix von Streit im neuen Podcast „WASSER ZEITUNG“ (bei deezer, spotify uam.). Der Geschäftsführer der Mittelmärkischen Wasser und Abwasser GmbH (MWA) und Vizepräsident des Landeswasserverbandstages (LWT) Brandenburg verweist darauf, dass die Wasserwirtschaft in keiner Konkurrenzsituation stehe. Und Mutter Natur interessiert sich ohnehin wenig für Verwaltungsgrenzen. Insofern spricht Zusammenarbeit für einen klugen Weitblick. „Unsere Arbeitsperspektive reicht 30, 40, 50 Jahre in die Zukunft“, steckt Felix von Streit die Zeitachse ab. „Strategisch dorthin zu denken und sich frühzeitig mit den ‚Teilnehmern‘ am Wasserdargebot abzustimmen, um Notsituationen zu vermeiden, hat nur Vorteile!“ Die permanenten Abstimmungen auf Arbeitsebene in den verschiedenen Gremien liefen gut. „Und ich würde mich freuen, wenn sich die Politik daran ein Beispiel nimmt und ebenfalls mehr länderübergreifend zu Lösungen kommt.“

Ein starkes Wasser-Netzwerk

Ein besonders praktisch-orientiertes Gremium für die Betriebe der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung sind die drei regionalen KOWABs. Hinter der Abkürzung steckt Kooperation Wasser Abwasser Brandenburg. René Windzus, Geschäftsführer der Dahme-Nuthe Wasser-, Abwasserbetriebsgesellschaft mbH (DNWAB) in Königs Wusterhausen, spricht von einer Vermittlungsplattform, die Raum für einen Austausch auf Augenhöhe gibt. „Manch eine Herausforderung wurde schon durch einen Kollegen ‚gemeistert‘ und kann übertragen werden.“ Ergebnis: schnellere und kostengünstigere Lösungen für Ver- bzw. Entsorgungssicherheit. „Wir müssen nicht jeder einzeln das Rad neu erfinden, sondern projekt- und problembezogen übergreifend arbeiten und Ressourcen bündeln. Somit kommen wir am Ende des Tages alle schneller zum Erfolg.“ Und, so hebt René Windzus hervor, man gehöre mit dem wichtigsten Gut allen Lebens ja zur kritischen Infrastruktur. Dies erfordere ein starkes Netzwerk!

Ihre WASSERZEITUNG – auch ein Gemeinschafts­projekt

Klaus

Foto: SPREE-PR/Petsch

Von einer Pflichtübung spricht LWT-Vizepräsident Felix von Streit in unserem Podcast-Gespräch, wenn es um Öffentlichkeitsarbeit für das Lebensmittel Nr. 1 geht. Aus diesem Grund wurde vor 30 Jahren in Brandenburg die WASSERZEITUNG ins Leben gerufen. An Themen mangelte es der Redaktion seitdem nie – im Gegenteil. Denn Wasser ist Leben. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Wasser ist Heimat – als Teich im Dorf, als Flüsschen durch die Stadt, als See vor ihren Toren. Wasser ist Heilung. Wasser ist Erholung. Denn das sanfte Rauschen des Meeres in unseren Ohren weiß selbst die Wogen des Alltags zu besänftigen. Nur eines ist Wasser bester Qualität nicht: eine Selbstverständlichkeit!
Alle Herausgeber der WASSERZEITUNG – mittlerweile in sieben Bundesländern vertreten – sind sich einig: Das immer wertvollere Wissen über unsere Lebensgrundlage Wasser darf im medialen Dauerprasseln hektischer Schlagzeilen, politischer Paukenschläge und lärmenden Geplärres flüchtiger 15-Minuten-Berühmtheiten auf keinen Fall untergehen.


Klaus Arbeit,
Projektleiter WASSERZEITUNG

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EU-Kommunalabwasserrichtlinie: Meilenstein, Aufgabenpaket, Bürokratiemonster?

 



Sachsen-Anhalt

EU-Kommunal­abwasser­richtlinie: Meilenstein, Aufgabenpaket, Bürokratie­monster?

Die Novellierung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie, kurz EU-KARL, trat am 1. Januar 2025 in Kraft. Nun muss jedes Mitgliedsland die Inhalte bis Ende Juli 2027 in nationales Recht umwandeln. Werden die kommunalen Abwasserverbände die Vorgaben bewältigen? Was ist gut an der Richtlinie und was ist schwierig? Eine Einordnung von Dr.-Ing. Jürgen Wiese, Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Hochschule Magdeburg/Stendal.

Neue EU-Standards für die Abwasserreinigung und den Energiebedarf: Die EU-KARL ist ein Großprojekt, für das es kräftige Finanzspritzen braucht.
Foto: SPREE-PR/Petsch

Im Gespräch mit der WASSERZEITUNG: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wiese.

Foto: SPREE-PR/Wolf

Herr Prof. Wiese, die DWA, die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. hat eine monatliche Online-Sprechstunde für Fragen zur EU-KARL eingerichtet. Auf zahlreichen Veranstaltungen ist die EU-KARL das Top-Thema. Aus Ihrer Sicht: Ist der Gesprächsbedarf hoch?

Ich habe zusammen mit Prof. Barjenbruch, dem Vorsitzenden des DWA-Landesverbandes Nord-Ost, am 1.10.2025 eine DWA-Online-Sprechstunde zum Thema „Energieneutralität“ durchgeführt, die mit ca. 80 Teilnehmenden stark frequentiert war. Die bereits im Vorfeld eingereichten Fragen zeigen deutlich einen hohen Gesprächsbedarf, vor allem aber auch die Unsicherheit der Akteure im Abwasserbereich.

Die novellierte EU-Kommunalabwasserrichtlinie ist ein rechtlicher Rahmen für die Erfassung, Behandlung und Entsorgung von Abwasser. Welchen Aspekt der neuen EU-KARL bewerten Sie positiv?

Grundsätzlich ist die novellierte EU-Kommunalabwasserrichtlinie ein Schritt in die richtige Richtung. Die starke Eutrophierung der europäischen Meere, u.a. der Ostsee, verdeutlicht, dass wir bezüglich der Stickstoff- und Phosphorelimination (Artikel 7) noch besser werden müssen. Auch die Forderung nach einer schrittweisen Energieneutralität der Kläranlagen (Artikel 11) halte ich prinzipiell für zielführend, zumal noch ein hohes ungenutztes Potential für die Energiegewinnung aus Abwasser besteht. Dies zeigt etwa die Nutzung der Abwasserwärme im Kläranlagenablauf durch Großwärmepumpen, wie dies zum Beispiel in Dänemark bereits zur Fernwärmeversorgung gemacht wird und auf einzelnen deutschen Großklärwerken geplant ist. Die Elimination anthropogener Schadstoffe (4. Reinigungsstufe) primär für Großklärwerke mit über 150.000 Einwohnerwerten (Artikel 8) zu fordern, ist folgerichtig, zumal in diesen wenigen hundert Kläranlagen mehr als die Hälfe des deutschen Abwassers gereinigt wird.

Was sehen Sie als kritisch an?

Kritisch sehe ich, dass die EU-KARL in weiten Teilen unpräzise formuliert wurde, was Tür und Tor für Spekulationen öffnet und meiner Ansicht nach der Hauptgrund für die starke Verunsicherung der Akteure ist. Weiterhin fürchte ich, dass die erweiterte Herstellerverantwortung (Artikel 9 und 10), die zur Finanzierung der 4. Reinigungsstufe beitragen soll, zwar gut gemeint, aber ein Bürokratiemonster werden wird, zumal erste Klagen der Industrie bereits anhängig sind. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hersteller von Arznei- und Kosmetikmitteln die dafür anfallenden Kosten nicht an die Endverbraucher weitergeben werden.

In der Abwasserbranche von Sachsen-Anhalt wird die novellierte EU-KARL stark diskutiert – was technische Anforderungen und vor allem was die Investitionen betrifft. Die Verbände sehen sich vor einem enormen Aufgabenpaket.

Die Diskussionen entstammen vor allem der Unsicherheit bei der Interpretation der EU-KARL. Hier wird es erst Klarheit geben, wenn die EU-KARL bis zum 31. Juli 2027 in nationales Recht umgesetzt wird. Generell bin ich aber für die Betreiber von Kläranlagen unter 150.000 Einwohnerwerte in Sachsen-Anhalt verhältnismäßig optimistisch. Wir haben Kontakt zu zahlreichen dieser Kläranlagen in Sachsen-Anhalt und viele Anlagen halten bereits heute die EU-KARL-Anforderungen bezüglich der weitergehenden Stickstoff- und Phosphorelimination ein; auf den anderen Anlagen dürften sich die Ziele der 3. Behandlung zudem durch den Einsatz moderner Mess- und Automationstechnik mit relativ geringen Investitionen lösen lassen. Im Idealfall kann ein optimierter Anlagenbetrieb sogar zu sinkenden Energie- und Fällmittelkosten führen; auch dies zeigen Praxisbeispiele. Weiterhin produzieren viele Kläranlagen schon heute einen Teil ihres Energiebedarfs durch Erneuerbare Energien. Mit der Kläranlage Stendal gibt es eine erste Energie-Plus-Kläranlage in Sachsen-Anhalt, die mehr Energie produziert als sie verbraucht. Andere Betreiber folgen dieser Idee und nehmen dazu die Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene in Anspruch. Eine echte Herausforderung wird sicherlich auf die Kläranlagenbetreiber zukommen, die eine 4. Reinigungsstufe bauen müssen, weil dies tatsächlich mit erheblichen Investitions- und Betriebskosten verbunden sein wird.

Jede Kläranlage hat spezifische Rahmenbedingungen, wie Technologie, Belastung des Abwassers durch Industriestandorte oder die finanzielle Situation. Für große Kläranlagen ab 150.000 EW) wird eine 4. Reinigungsstufe gefordert, in besonders sensiblen Gebieten bereits ab 10.000 EW. Was halten Sie von diesen Anforderungen?

Es ist bekannt, dass einzelne anthropogene Spurenstoffe bereits in geringen Konzentrationen negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben können. Viele Wasserwerke setzen daher bereits heute Aktivkohlefilter zur Entfernung dieser Spurenstoffe aus dem Trinkwasser ein. Auf Dauer ist es daher sinnvoll, diese Spurenstoffe erst gar nicht in unsere Gewässer einzuleiten. Wie bei jeder Umweltschutzmaßnahme muss aber immer Aufwand und Nutzen im Augen behalten werden: Eine 4. Reinigungsstufe wird immer mit erheblichen Investitions- und Betriebskosten verbunden sein, zumal es sich auch meist um technisch komplexe Systeme handelt, die entsprechend qualifiziertes Betriebspersonal erfordern. Es ist daher richtig, diese Systeme zunächst einmal nur für Kläranlagen über 150.000 Einwohnerwerte zu fordern, da diese mehr als die Hälfte des deutschen Abwasseranfalls behandeln. Im Übrigen gibt es Bundesländer, z. B. Baden-Württemberg, bei denen die 4. Reinigungsstufe auf Großklärwerken bereits Standard sind. Eine Notwendigkeit, die 4. Reinigungsstufe auch auf Kläranlagen ab 10.000 EW einzusetzen sehe ich hingegen eher selten.

Der Umbau von Kläranlagen für eine intensivere Abwasserbehandlung und zur Spurenstoffeliminierung wird teuer. Welche Verfahren und Innovationen machen Ihren Forschungen zufolge Sinn, wären Alternativen, die auch bezahlbar wären?

Im Moment dominieren Verfahren auf Basis von Pulveraktivkohle und granulierter Aktivkohle die Spurenstoffelimination; hier liegt der Schwerpunkt in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen sind aber auch oxidative Verfahren – im Wesentlichen durch Ozonung – im Einsatz; einzelne Kläranlagen sind auch mit einer Kombination von Ozonierung und Aktivkohlefilterung ausgestattet. Wir an der Hochschule Magdeburg-Stendal forschen auch an modifizierten Membranen, die die Spurenstoffe mit geringem Energieaufwand zurückhalten sollen. Wir werden diese Technik ab 2026 auf einem Großklärwerk im halbtechnischen Maßstab testen. Diese Membranen sollen aber auch an der Quelle der Verunreinigung eingesetzt werden, hier haben wir ein Forschungsprojekt mit der Martin-Luther-Universität in Halle, bei dem wir diese Technik in der Uniklinik Halle testen wollen. Schließlich arbeiten wir an modifizierten Bodenfilteranlagen, um Spurenstoffe mit möglichst geringem Aufwand auf mittelgroßen Kläranlagen zu entfernen.Hier beginnen demnächst halbtechnische Versuche auf der Kläranlage Gardelegen.

Die EU-KARL muss bis 2027 in nationales Recht umgesetzt werden. Wird es für jedes Bundesland Extra-Lösungen geben? Was braucht es für Konzepte vom Bund und Land zur Unterstützung der kommunalen Abwasserverbände?

Der Bund wird den nationalen Rechtsrahmen für die Umsetzung der EU-KARL vorgeben. Deutschland ist aber ein föderaler Staat, sodass es den einzelnen Bundesländern freisteht, eigene Wege zu gehen, die aber mindestens den Anforderungen des Bundes genügen müssen. Faktisch gibt es bereits heute einzelne Bundesländer, die deutlich strengere Anforderungen an die Reinigungsleistung stellen als die EU-KARL perspektivisch fordert. Die aktuellen Anforderungen in Hessen bezüglich der Phosphorelimination gehen zum Beispiel bereits seit 2018 weit über die EU-KARL-Vorgaben hinaus. Die 4. Reinigungsstufe ist auf Großklärwerken in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ebenfalls bereits oft im Einsatz. Zur Umsetzung der Fördermaßnahmen sind Förderprogramme sicherlich hilfreich, zur Steigerung der Energieeffizienz gibt es schon lange solche Programme. Bei kleineren Maßnahmen zur Optimierung der Nährstoffelimination können viele Betreiber zudem noch die Möglichkeiten der Rückverrechnung der Abwasserabgabe ausschöpfen; dies wird leider vielfach übersehen.

Sie kennen in Sachsen-Anhalt so gut wie jede Kläranlage. Wieviel Prozent der Kläranlagen werden die Energieneutralität nur unwirtschaftlichen umsetzen können – die Verbände mehr Ausgaben als Einsparungen haben?

Ich kenne in Sachsen-Anhalt ca. 100 Kläranlagen, was etwa der Hälfte der Gesamtzahl entspricht. Die Kläranlagen, die über eine Schlammfaulung verfügen, haben gute Chancen die Energieneutralität zu erreichen, wenn sie die Energieeffizienz deutlich erhöhen. Hierfür gibt es interessante Förderprogramme, die leider nicht im vollen Umfang abgerufen werden. Die Praxis zeigt, dass viele Kläranlagenbetreiber noch viel Energie einsparen könnten, ohne dass dies zu einer Verschlechterung der Abwasserreinigung führen würde. Viele alte Gasmotoren sollten zudem durch neuere, energieeffizientere Motoren ausgetauscht werden, um die Eigenstromproduktion zu erhöhen. Der Einsatz von Photovoltaik-Anlagen zur Eigenstromerzeugung ist bereits heute wirtschaftlich, was man auch daran erkennen kann, dass viele Betreiber bereits seit Jahren massiv in Freiflächen-PV-Anlagen investieren. Es ist aber klar, dass kleinere und mittlere Kläranlagen ohne Schlammfaulung alleine mit PV-Anlagen keine Energieneutralität erreichen werden. Im Übrigen gehen die aktuellen Diskussionen in die Richtung, dass die Energieneutralität nicht für jede Kläranlage nachgewiesen werden muss, sondern eher aggregiert auf Bundes- oder Landesebene. Das heißt, ein Großklärwerk, das durch verschiedene Maßnahmen wie Co-Vergärung, PV- und Windenergie mehr Energie produziert als es verbraucht, wird voraussichtlich bilanziell die Defizite andere Kläranlagen ausgleichen können, auch wenn sie zu einem anderen Verband gehören.

Die Filterung von Schadstoffen und Mikroplastik: Um welche Stoffe handelt es sich da konkret und welche Stoffe sind langfristig gefährlich für Flüsse und Meere?

Bereits mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie aus 2000 hat die Europäische Union eine Liste von anthropogenen Schadstoffen definiert, die analysiert werden müssen. Die Praxis zeigt aber, dass diese Liste alle paar Jahre den veränderten Randbedingungen angepasst wird bzw. einzelne Stoffe ausgetauscht werden. In der aktuellen Liste finden sich überwiegend Arzneimittelrückstände aus den verschiedensten medizinischen Bereichen, z. B. Schmerzmittel oder Bluthochdruckmedikamente), aber auch Industriechemikalien wie beispielsweise Korrosionsschutzmittel.

Welche Rolle könnten digitale Überwachungssysteme in Zukunft spielen?

Moderne Mess- und Automationstechnik ist geeignet, um die Stickstoff- und Phosphoremissionen zu reduzieren und gleichzeitig Strom und Fällmittel einzusparen. Einzelne Spurenstoffe lassen sich hingegen mit Echtzeitmessverfahren noch nicht zuverlässig ermitteln. Dies ist aus meiner Sicht aber auch nicht notwendig, da es einfach messbare Summenparameter gibt, die indirekt einen Rückschluss auf die Spurenstoffelimination zulassen.

Hersteller und Inverkehrbringer von Arzneimitteln und Kosmetik, auch außerhalb der EU, werden verpflichtet, 80 Prozent der Investitions- und Betriebskosten für eine zusätzliche Reinigungsstufe zu tragen, um Schadstoffe aus dem Abwasser zu filtern. Wie soll diese Beteiligung EU-weit ablaufen? Werden Verträge und Zahlungen dafür Jahre dauern – Stichwort Bürokratie?

Als Ingenieur traue ich mir hier keine belastbare Antwort zu, da dies die Politik und Gerichte entscheiden müssen. Ich fürchte aber, dass diese Regelung zu einem Bürokratiemonster führen wird und die Hersteller die Kosten am Ende wieder auf uns Bürgerinnen und Bürger abwälzen werden.

Die Abwasserverbände kritisieren, es werden seitens des Gesetzgebers immer schärfere Forderungen gestellt, aber gezielte Vorgaben, wie was umzusetzen ist, bleiben aus. Lässt die EU die Mitgliedsstaaten mit der Richtlinie allein?

In der Tat ist die EU-KARL an vielen Stellen schwammig formuliert, was die eigentliche Ursache für die berechtigte Kritik der Abwasserverbände ist, weil sie vielen Spekulationen Tür und Tor öffnet. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig, dass die Bundesregierung den Prozess der Umsetzung in nationales Recht möglichst transparent gestaltet und die wesentlichen Eckpunkte möglichst schnell kommuniziert. Ich denke, dass dies die Verunsicherung der Verbände reduzieren und die Akzeptanz der EU-KARL steigern wird.

Wissen Sie, welche Sanktionen drohen, wenn die Vorgaben der EU-KARL nicht erfüllt werden?

Generell hat die EU die Möglichkeit, bei Nichteinhaltung von EU-Richtlinien Bußgelder gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu verhängen. Vor ca. 10 Jahren haben die hohen Bußgelddrohungen an Deutschland bezüglich der Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie bekanntlich zu einer Verschärfung des deutschen Düngerechts geführt.

Energiekonzept, Niederschlagswasserbeseitigungskonzept, Schmutzwasserbeseitigungskonzept, Havariekonzept, EU-KARL, Klärschlammverordnung und vieles mehr… All diese Vorgaben sind ein riesiges Pflichtenheft. Wie sollte sich also die Wasserwirtschaft in Zukunft aufstellen?

Viele Verbände haben bereits derartige Konzepte erarbeitet oder zumindest Vorarbeiten hierfür geleistet, das heißt, die Verbände müssen nicht bei Null anfangen, sondern ihre Konzepte fortschreiben und ergänzen. Ich empfehle, dass man die Fortschreibungen zügig angeht und vor allem untereinander abstimmt, um Synergieeffekte zu nutzen. Beispielsweise empfehle ich, die Optimierung der Nährstoffelimination immer in Kombination mit dem Energiekonzept zu denken, weil eine geschickte Prozessführung sowohl Emissionen einsparen als auch Betriebskosten senken kann. Das Vorurteil „Energieeinsparung führt zu erhöhten Emissionen“ ist einfach falsch! Im Übrigen empfehle ich den steten Austausch mit Hochschulen, denn wir haben bereits Antworten auf viele Herausforderungen und unsere Studierenden sind an den Themen der EU-KARL interessiert, sodass die Vorarbeiten zur KARL-Umsetzung auch im Rahmen von Bachelor- und Masterarbeiten erarbeitet werden können.

Was glauben Sie, welche Gesamtkosten kommen auf die Verbände zu, um die EU-KARL umzusetzen?

Das kann ich nicht beantworten, da wesentliche Teile der Umsetzung in nationales Recht noch ungeklärt sind.

Wissen Sie, ob es Förderprogramme der EU oder nationaler Stellen bei der Umsetzung der EU-KARL geben wird?

Sowohl auf Bundes- als auch Landesebene gibt es viele Fördermittel, vor allem bezüglich der Energiethematik. Manche dieser Förderprogramme werden zudem mit EU-Mitteln finanziert. In Sachsen-Anhalt gibt es z. B. ein Förderprogramm zur Verbesserung der Energieeffizienz von wasserwirtschaftlichen Anlagen mit einer attraktiven Förderquote von 50 %. Leider werden diese Fördermittel aber von den Verbänden oft nicht in Anspruch genommen.Im aktuellen Fördertopf stehen noch viele Millionen Euro zur Verfügung.

Die Pläne der EU-KARL werden vor allem den Gebührenzahler belasten. Von 3-5 Prozent Gebührenerhöhung ist die Rede. Wie lässt sich ein fairer Ausgleich zwischen Umweltzielen und den wirtschaftlichen Belastungen für Bürger und Kommunen schaffen?

Ich bin Ingenieur und kann diese Frage nicht beantworten. Letztendlich ist dies die Aufgabe der Politik und in letzter Konsequenz der Gerichte, denn es wird sicherlich Klagen geben. Die Pharmaindustrie beklagt bereits die EU-KARL bezüglich der erweiterten Herstellerverantwortung.

Die Branche hat ein Personalproblem, aber auch Ingenieurbüros und Handwerksbetriebe verschwinden vom Markt oder sind ausgelastet. Quantitativ und qualitativ wird es schwierig, alles zu bewältigen.
Wie kann da die Hochschule unterstützen?

Wir haben bereits Lösungen für viele Herausforderungen der EU-KARL. Wir empfehlen daher den Verbänden, sich regelmäßig mit uns auszutauschen. Viele Teilaspekte der EU-KARL können im Rahmen studentischer Arbeiten bearbeitet werden. Wir haben zudem viele Werksstudierende, die von Abwasserverbänden finanziert werden und sich im Rahmen ihres Studiums mit EU-KARL-Fragestellungen beschäftigen können.

Gibt es wieder mehr junge Menschen, die sich für die Wasserwirtschaft interessieren?

Wir können seit der Corona-Zeit wieder einen leichten Anstieg der Studierendenzahl beobachten. Dies reicht aber nicht, um den Bedarf der Wasserwirtschaft zu decken. Immer mehr Verbände entsenden daher Werksstudierende an unsere Hochschule, um den Personalbedarf perspektivisch decken zu können. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass es für die Akteure, die dies nicht tun, immer schwieriger werden wird, geeignete Nachwuchskräfte zu finden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Jedes Brötchen ist Handarbeit

 



Brandenburg

Jedes Brötchen ist Handarbeit

Die Bäckerei Dorn in Wahrenbrück (Elbe-Elster) pflegt alte Traditionen und neue Ideen. Und so kann der mehr als hundert Jahre alte Familienbetrieb nicht nur mit ausgefallenen Brotsorten, sondern auch mit dem ersten Brotsommelier Brandenburgs aufwarten.

Brot in den Geschmacksrichtungen Birne-Gorgonzola, Rotkohl-Walnuss, Grünkohl mit Knacker – ganz normal für Brotsommelier Paul Müller (re.) und Bäckermeister Stefan Dorn.
Fotos (2): SPREE-PR/Petsch

Paul Müller hat einen kräftigen Händedruck. Der Enddreißiger sprüht vor Energie, redet schnell und man merkt ihm nicht an, dass er seit 2 Uhr auf den Beinen ist. Jetzt, gegen halb elf, ist die Backstube schon wieder sauber und bereit für die Schicht am nächsten Morgen. Zeit also für einen Kaffee. Der Bäckermeister stammt aus dem nahen Finsterwalde, nach Lehre und Gesellenjahr wechselt er in eine Großbäckerei mit vielen Filialen in der Region, landet in der Abteilung Brot. Daraus erwächst seine große Leidenschaft. „Aber irgendwann hat mir das keinen Spaß mehr gemacht, ich wollte zurück in eine kleine Bäckerei, wo alles, jedes Brötchen, noch in Handarbeit gemacht wird“, erinnert er sich. Genau das findet Müller bei der Bäckerei von Stefan Dorn.

Seit gut zehn Jahren arbeiten die beiden zusammen und haben vor allem die Kunst des Brotbackens auf ein neues Niveau gehoben. Denn Paul Müller ist umtriebig: „Ich habe in einer Fachzeitschrift von der Ausbildung zum Brot-Sommelier an der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerkes Weinheim (Baden-Württemberg) gelesen und mich sofort beworben.“ Sein Chef unterstützt sein Vorhaben, stellt ihn für die Zeit der Seminare frei. Nach zehn Monaten darf sich Paul Müller Brot-Sommelier nennen – er ist der erste von inzwischen drei Brandenburger Bäckermeistern, die diesen Titel ganz offiziell und zertifiziert tragen. Inzwischen haben mehr als 250 Absolventen aus 14 Ländern diese weltweit einmalige Ausbildung absolviert, wobei Deutschland eindeutig der Hotspot ist. Kein Wunder bei mehr als 3.200 Brotsorten, die von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt wurden und denen mit dem 5. Mai sogar ein eigener Feiertag gewidmet ist.

Bei solch einer Vielfalt hält man Neuerungen kaum noch für möglich – aber weit gefehlt. B(r)otschafter Paul Müller gehen die Ideen nicht aus. An jedem Freitag gibt es eine besondere Kreation in Geschmacksrichtungen wie Birne-Gorgonzola, Rotkohl-Walnuss, Grünkohl mit Knacker. „Wir probieren immer wieder etwas Neues aus. Dieses Jahr gab es zu Himmelfahrt ein deftiges Matjes-Gurke-Zwiebel-Brot für den Tag danach“, schmunzelt Müller. Er arbeitet bei diesen Experimenten an seinen sensorischen Fähigkeiten: riechen, schmecken, tasten, sehen. Die müssen immer wieder trainiert werden, auch, um Wettbewerbe zu gewinnen. So wie den „Pro Agro Marketingpreis“ 2025, mit dem „Elbe-Elster-Apfelkorn“, einem Sauerteigbrot mit Apfelstücken.

Paul Müller ist aber nicht nur ein exzellenter Handwerksmeister und kreativer Geist, sondern auch selbstbewusst. 2022 klopft er im höchsten Haus des Staates an, im Bundespräsidialamt. Und präsentiert dem Küchenchef seine beeindruckende Palette an Brot und Brötchen. Seitdem beliefert die Bäckerei Dorn den Bundespräsidenten und dessen Gäste aus aller Welt mit immer neuen Überraschungen, die großen Anklang finden. Müller genießt die Anerkennung, aber er ruht sich nicht darauf aus. Im Moment denkt er über ein neues Projekt nach: „Ich würde gern Wasser auf sein Mineralgehalt hin überprüfen und dessen Auswirkungen auf Sauerteig.“

Eigentlich müsste er mit all diesen Aktivitäten ausgelastet sein. Aber weit gefehlt: Nachts zieht es den passionierten Jäger auf den Hochsitz oder die Alarmsirene ruft den Zugführer der örtlichen freiwilligen Feuerwehr zum Einsatz. „Letzten Sommer war es schlimm, da habe ich in einer Woche grade mal 20 Stunden geschlafen“, erzählt Müller, bevor er sich zum wohlverdienten Mittagsschlaf verabschiedet. Müde wirkt er dabei allerdings nicht.

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Schwestern im Einsatz für den Hochwasserschutz

 



Brandenburg

Schwestern im Einsatz für den Hochwasserschutz

Im September 2024 sorgten die Schwestern Linda und Josy aus Podelzig mit hunderten anderen ehrenamtlichen Helfern dafür, dass die Deiche in ihrer Region dem Hochwasser trotzten. Und sie würden es wieder tun.

Foto: SPREE-PR/Krone

Hochwasseralarm im Landkreis Märkisch-Oderland. Tagelang hat das Mittelmeertief „Anett“ über Polen und Tschechien unaufhörlich Regenmassen abgeladen. Flüsse treten über die Ufer, ganze Landstriche stehen unter Wasser – und die Flut rollt weiter Richtung Deutschland. Brandenburg bereitet sich auf das Schlimmste vor. Und so klingeln am 21. September bei den Schwestern Linda und Josy Bredow die Handys. „Wir brauchen Deichläufer. Seid ihr dabei?“, fragt eine Mitarbeiterin des Amtes Lebus. Ohne zu zögern antworten sie: „Natürlich!“

Eine wiederkehrende Gefahr

Was auf dem Spiel steht, wissen die beiden genau. Sie sind in Podelzig aufgewachsen, leben noch immer mit der ganzen Familie in dem Haus, das ihr Großvater vor 35 Jahren im Unterdorf gebaut hat. Seit Friedrich der Große das Oderbruch im 18. Jahrhundert trockenlegen und besiedeln ließ, sind die Siedlungen immer wieder von Hochwassern bedroht. Beim dramatischen Oderhochwassers von 1997 kämpfte ihr Vater – Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Podelzig – mit vielen anderen gegen die Wassermassen. „Seit zehn Jahren sind wir auch aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr“, erzählen Josy und Linda. „Wir helfen gern unseren Nachbarn, wenn sie in Not sind.“

Größte Gefahr für Deiche: Biberlöcher

Am nächsten Abend nehmen sie mit mehr als 60 anderen ehrenamtlichen Helfern an einer dreistündigen Schulung der Unteren Katastrophenschutzbehörde des Landkreises MOL teil. Dort lernen sie, worauf es bei der Arbeit eines Deichläufers ankommt. Am Morgen des 24. September beginnt ihre erste 12-Stunden-Schicht am Deichkilometer 5. „Die Oder hatte sich in ein gewaltiges Meer verwandelt. Nur noch ein Drittel des Deichs ragte aus dem Wasser“, erinnert sich Linda. „Wir kontrollierten einen 2,5 Kilometer langen Abschnitt auf Löcher, Schäden, Scharrstellen durch Treibgut oder Schaumkronen auf der Landseite.“ Das größte Problem: Biber. Werden ihre Bauten vom Wasser überspült, graben sich die Tiere in die Deiche. Durch die offenen Stellen kann Wasser eindringen, den Deich unterspülen und im schlimmsten Fall brechen lassen. „Jedes entdeckte Loch haben wir sofort an das Umweltamt gemeldet. Es wurde dann mit einer Plane abgedeckt und mit Sandsäcken gesichert.“

Laufen für den Deichschutz

Innerhalb von zwölf Stunden laufen sie den Deich sechs Mal ab, legen in vier Tagen mehr als 120 Kilometer zurück. Als die Gefahr vorüber ist, geben sie Schutzkleidung, Funkgerät und Fähnchen an die Einsatzleitung zurück. Ob sie bei der nächsten Hochwassergefahr wieder dabei sind? „Die Deiche haben gehalten. Dafür würden wir wieder laufen“, sagen sie einstimmig.

Deiche in Brandenburg

  • Länge der Deiche: 1.300 Kilometer
  • Sanierungsgrad: 90 Prozent
  • Hochwasser seit 1997:

2002 und 2006 an der Elbe
2010 an Oder, Neiße, Spree, Schwarze Elster, Havel und Elbe
2011 in nahezu allen Brandenburger Wasserläufen
2013 an der Elbe

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Mecklenburgs Havel – von der Quelle bis Brandenburg

 



Mecklenburg-Vorpommern

Mecklenburgs Havel – von der Quelle bis Brandenburg

Bevor die Havel zu dem großen Brandenburgischen Strom wird, der gewaltige Wassermengen in die Elbe drückt, entspringt sie bescheiden und pittoresk in der Mecklenburgischen Seenplatte. Garantiert eins, zwei, drei Ausflüge wert!

Unweit der Quelle geht es für Paddler bereits durch viele kleine Kanäle zwischen den Seen.

Foto: Georg Hundt

Mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte, im nordöstlichen Teil des Müritz-Nationalparks, steht plötzlich eine Stele mit Ortsnamen, Sitzgelegenheiten und einer gepflasterten Schale im Boden. Daraus sprudelt beständig Wasser, das nach Süden abfließt: die Havelquelle.Die eingravierten Ortsnamen verraten den weiteren Weg des jungen Flusses: Oranienburg, Berlin, Potsdam, Brandenburg, Rathenow …

Ankershagen und Schliemann

Nur wenige Schritte neben der Quelle liegt ein Steg am Mühlensee, der mit klarem Quellwasser zum Baden lädt. All das gehört zum Örtchen Ankershagen. Hier steht neben schnieker Dorfkirche und Schlossburg auch das Heinrich-Schliemann-Museum. Das Elternhaus des weltberühmten Archäologen, rastlosen Abenteurers und Troja-Entdeckers bietet zahlreiche Ausstellungen, Vorführungen, Open-Air-Kino, Feste und Lesungen – nicht nur zu Schliemanns Entdeckungen.

Seen, Lore und Fischerei
Bis zur Mündung in die Elbe legt die Havel 325 Kilometer zurück. Im gesamten Lauf durchfließt und speist sie unzählige Seen, wie den Wannsee bei Berlin oder schon hier den Käbelicksee in Kratzeburg (Haltepunkt Bahnstrecke Rostock – Berlin).

Von hier aus kann man theoretisch alle verbleibenden Kilometer durch paddeln. Aber schon die erste Hürde sind die 750 Meter Landmasse vom winzigen Schulzensee bis zum klaren Pagelsee. Zum Bootstransport steht hier einfach eine Lore samt leichter Schiene in einer Waldschneise. Wasserreisende dürfen ihr Gefährt hier auf der Lore selbst herüberschieben und weiterfahren.
In der rustikalen Havel-Nationalpark-Fischerei im Dörfchen Babke gibt es kleine Stärkungen und mit ein wenig Glück sind im Schaubecken Lachsforellen, Stör, Wels, Karausche, Hecht, Plötz und Rotfeder zu entdecken.



Natur und Kultur im Nationalpark

Der ganze Müritz-Nationalpark, aber auch diese Havel-Ecke hier, bietet auch Radfahrern und eingeschränkt auch PKW-Touristen einige Highlights: die einzelnen Nationalparkstationen wie in Federow, das Pausieren in einem der gastronomisch ausgebauten 
Herrenhäuser oder die Beobachtungsstege und -türme. Nicht nur für Ornithologen ein Highlight. Am höchsten hinaus kommt man auf dem Aussichtsturm am Käflingsberg, ein besteigbarer Funk- und Feuerwachturm beim Örtchen Speck.

Ebenfalls in Federow gibt es die Hörspielkirche. Ein Blick ins Programm lohnt! Ebenso wie in das Programm des Nationalparks: Führungen und Abende für viele Zielgruppen und Interessen.

Unterwegs zwischen Neustrelitz und Mirow

Aber wie geht es mit der Havel weiter? Sie ist schiffbar und schwenkt gen Ost in die Neustrelitzer Seen. Über Kanäle geht es auch direkt nach Neustrelitz. Die alte Residenzstadt mit sternförmigem Aufbau und Parkanlage bietet neben Stadthafen und zahlreicher Gastronomie auch eine Skulpturengalerie in der Schlosskirche, viele Konzerte im Kulturquartier Mecklenburg-Strelitz und seit vielen Jahren Ende Mai das Immergut-Festival mit hochkarätiger Indie-Musik.

In Wesenberg retteten Einheimische und Freunde der Region die alte Brennerei. Sie gründeten eine Genossenschaft, kauften Haus und Grund und bauen nun Stück für Stück das „brenn:werk“ nach einem Entwurf eines Wesenberger (!) Architekturstudenten aus. Das Gelände ist aufgeräumt, alte Steine sind geputzt und das gemeinsame Café als Begegnungsort ist fertig. Auch die Lesestube der Stadt Wesenberg gibt es hier schon. Nun sollen Biergarten, Seminar- und Gästehaus sowie Wohneinheiten entstehen.
Hier hinten am Ellenbogensee ist allerdings auch schon die Landesgrenze zu Brandenburg erreicht. Aber wer jetzt westlich fährt, gerät nach Canow (also nicht nach Conow bei Feldberg). Hier bauten sich mit viel Liebe junge, aber erfahrene Gastronomen aus Berlin eine alte Stellmacherei zum Gasthaus Canow um. Da werden auch schon mal die Tische weggeräumt, damit der örtliche Yoga-Kurs Platz hat.

Noch weiter westlich kann direkt vom Mirowkanal aus im Sommer beim berühmten Fusion-Festival vorbeigeguckt werden. Mirow bietet mit dem Dreiköniginnenpalais und dem Schloss Mirow Wissenswertes zu Landeskunde und Adel. Ach, hier kann noch so viel entdeckt werden!

Und nun nach Brandenburg?

Auf brandenburgischer Seite geht es weiter. Eben nach Fürstenberg, Zehdenick, Oranienburg, Berlin, Potsdam, Werder, Brandenburg, Rathenow und bei Havelberg in die Elbe – wie uns die steinernde Stele an der Havelquelle verraten hat.

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Eisbaden: Der Sprung ins eisige Glück

 



Mecklenburg-Vorpommern

Eisbaden: Der Sprung ins eisige Glück

Während die meisten Menschen bei Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt längst ihre Badehose verstaut haben, beginnt für eine wachsende Gemeinschaft erst die schönste Zeit des Jahres. Eisbaden, auch Winterbaden oder Kaltwasserschwimmen genannt, hat sich von einer Nischenbeschäftigung zu einem echten Gesundheitstrend entwickelt.

Die Eisbademeisters steigen seit 2020 wöchentlich für einen guten Zweck in die Warnemünder Wogen.

Foto: David Garbe

Allen voran die Rostocker Eisbademeisters, die seit dem Jahr 2020 jeden Freitag von Halloween bis Ostern in den Wogen der Warnemünder Bucht für den guten Zweck ins eisige Nass steigen und dabei bereits über 50.000 Euro für gemeinnützige Projekte gesammelt haben. Im Januar und Dezember taucht die Temperatur des Wassers dabei regelmäßig unter die Zwei-Grad-Schwelle.

Vorteile des Kälteschocks

Der extreme Kältereiz aktiviert das Immunsystem, indem die Produktion weißer Blutkörperchen angekurbelt wird – eine Beobachtung, die durch Blutuntersuchungen vor und nach Schwimmstrecken in sechs Grad kaltem Wasser dokumentiert wurde. Die Auswirkungen erläutert eine aktuelle Meta-Analyse für Kaltwasser-Anwendungen. Sie untersuchte elf Studien mit insgesamt rund 3.200 Teilnehmenden. Das Papier bestätigt, was regelmäßige Eisbadende berichten: Eisbadende litten um 40 Prozent weniger unter Atemwegsinfektionen als Kontrollgruppen. Mediziner konnten bei regelmäßigen Winterschwimmern einen signifikanten Anstieg verschiedener Immunzellen im Blut und wichtiger Immuneiweiße nachweisen.
Die Gefäße profitieren ebenfalls von der Kälteexposition: Beim Eintauchen verengen sich die Blutgefäße, nach dem Verlassen des Wassers weiten sie sich wieder.
Dieser Wechsel trainiert das Herz-Kreislauf-System und kann langfristig zu einer verbesserten Durchblutung und stabileren Blutdruckwerten führen. Zusätzlich setzt der Körper Endorphine frei, die sogenannten Glückshormone, die für ein anhaltendes Wohlbefinden und eine verbesserte Stressresistenz sorgen.

Eisiges Vergnügen für alle

Grundsätzlich kann jeder gesunde Erwachsene das Eisbaden erlernen und praktizieren. Besonders geeignet ist es für Menschen, die ihre körperliche und mentale Widerstandsfähigkeit stärken möchten. Sportlerinnen und Sportler nutzen Eisbäder zur beschleunigten Regeneration nach intensiven Trainingseinheiten, während andere die meditative und stresslösende Wirkung schätzen.
Wichtig ist eine schrittweise Gewöhnung, beginnend mit kalten Duschen und kurzen Wasserkontakten. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder dem Raynaud-Syndrom sollten vor dem Einstieg unbedingt ärztlichen Rat einholen. Auch Schwangere, Personen mit akuten Infekten oder unbehandelten Schilddrüsenerkrankungen sollten auf Eisbaden verzichten. Niemals sollte man allein ins kalte Wasser steigen – Sicherheit geht vor Abenteuer.
Das wissen auch die Eisbademeisters. Ihr Antrieb: Sie sammeln Geld für Menschen in Not, die wirklich frieren. In der ersten Saison 2020 kam für die örtliche Obdachlosenhilfe eine fünfstellige Summe zusammen.

Aktuelle Spendenaktion und Treffen der Eisbademeisters gibt es im Internet unter 
www.eisbademeisters.de.

Was es zum Eisbaden braucht:
  • Ein Warum hilft. Etwa das Bewusstsein, sich selbst Gutes zu tun.
  • Mütze, Schlauchtuch und Badeschuhe wärmen beim Eisbaden. Wer sich zu lange der Kälte aussetzt, kann auch krank werden.
  • Gesundheit, sonst belastet ein Kälteschock das Immunsystem zu stark.
  • Heiteres Wetter und Windstille.
  • Andere Eisbadende für mehr Sicherheit.
  • Geordnete Kleidung und ein griffbereites Handtuch, um sich nach dem Eisbaden rasch einzumummeln.
  • Ruhige Atmung beim Abtauchen gegen den Kälteschock.

Termine

  • Warnemünde: Am Rettungsturm 3 springen die Rostocker Eisbademeisters von Halloween bis Ostern freitags um 15.30 Uhr in die Ostsee. Die Rostocker Seehunde samstags und sonntags um 10 Uhr.
  • Lubmin: Der Club der Seehunde Lubmin badet mittwochs und samstags um 9 Uhr an der Seebrücke.
  • Zinnowitz: Winterbaden am 30. Dezember an der Seebrücke.
  • Neujahrsanbaden: am 1. Januar in Karlshagen (14 Uhr, Anmeldung ab 12 Uhr) und Boltenhagen (11 Uhr).
  • Ahlbeck: Winterstrandfest mit Eisbaden am 23. und 24. Januar 2026.
  • Trassenheide: Eisbade-Spektakel am 7. Februar 14 – 16 Uhr.
  • Binz: Das Eisbaden findet am 7. Februar von 14 – 15.30 Uhr am Strandabgang 16 statt.

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Warum Abwasserkanäle viel Aufmerksamkeit brauchen

 



Mecklenburg-Vorpommern

Warum Abwasserkanäle viel Aufmerksamkeit brauchen

Liebe Leserinnen und Leser, kommen Sie doch mit auf eine kleine Reise. Nein, nicht in ferne Länder, sondern hinab ins Erdreich, dorthin, wo die Rohre fürs Abwasser liegen, nahe Ihrem Haus, unter dem Asphalt von Straßen und ganzen Ortschaften.

Robuste Kanäle transportieren das Schmutzwasser auf die Kläranlage.

Foto: ZVK

Hintereinandergelegt würde es einmal vom Nordpol gerade durch die Erde hindurch bis über den Südpol hinausragen, das knapp 16.700 Kilometer lange Abwasserkanalnetz in MV. Natürlich ist es hier vor Ort ein komplexes System aus verzweigten Kanälen und Betonbauwerken im Untergrund. Ein System, das die problemlose Abwasserentsorgung aus Bad und Küche oder das Abfließen des Regenwassers garantiert. Die Zweckverbände zwischen Ahlbeck auf Usedom und Zarnewenz im Landkreis Nordwestmecklenburg arbeiten tagtäglich daran, das in Haushalten und von Gewerbe gebrauchte Wasser auf ihren Kläranlagen zu reinigen und dem natürlichen Kreislauf wieder zuzuführen. Viele Aspekte gilt es dabei zu beachten.

Kanalnetz, das stetig gewachsen ist

Das Abwassernetz in MV entstand größtenteils in den 1990-Jahren. Der überwiegende Teil sind heute Trennkanäle, also jeweils eigene Trassen für Schmutz- beziehungsweise Niederschlagswasser, um die Kläranlagen hydraulisch und mengenmäßig nicht zu überlasten.

Kameras, die durch Rohre fahren

Kontrolle? Muss sein! Nach der Selbst-
überwachungsverordnung sind Verbände verpflichtet, den gesamten Netzbestand optisch zu untersuchen. Dies geschieht entweder durch verbandseigene Technik oder externe Fachfirmen. Die Ergebnisse sind wichtige Grundlagen für die Wartung, Reparatur und Erneuerung der Systeme. Ebenfalls erwähnenswert: Der sparsame Umgang mit Wasser ist mit Blick auf die kostbare Ressource wichtig. Fließt aber wenig Wasser durch die Rohre, entstehen wesentlich mehr Ablagerungen, die zu Verstopfungen führen können.

Probleme, die es 
auf dem Land gibt

Der Bevölkerungsrückgang in einigen Regionen hat Einfluss auf die Gebührenkalkulation. Denn bei gleichen oder steigenden Kosten gibt es hier weniger verbleibende Gebührenzahler. Ein weiteres Thema: Fachkräfte. Ingenieure, Verwaltungspersonal, Techniker, Mitarbeiter im Trink- und Abwasserbereich – die Webseite 
wasserjobboerse.info listet freie Stellen der Branche auf.

Hürden, die oft im Weg stehen
Pflege, Wartung, Reparatur, Sanierung und Erneuerung – all das kostet Geld und Zeit. Für den täglichen Betrieb, aber auch Fördermittelanträge und öffentliche Ausschreibungen steigt der bürokratische Aufwand stetig an.

Achtsamkeit senkt Kosten

Die Kundinnen und Kunden können überall durch achtsamen Umgang selbst Einfluss auf die Gebühren nehmen. Verstopfungen der Pumpwerke durch die falsche Entsorgung von Feuchttüchern, Hygieneartikeln etc. müssen nicht sein. Kosten für die Rattenbekämpfung können ebenfalls reduziert werden.

Faktenlage
  • In 578 kommunalen Kläranlagen in MV werden jährlich 90 Mio. Kubikmeter Abwasser gereinigt.
  • Der Anschlussgrad an zentrale Anlagen beträgt etwa 90 %.
  • Das öffentliche Kanalnetz in MV misst 16.681 km – aufgeteilt in 11.675 km für Schmutzwasser, 4.407 km für Regenwasser und 599 km für Mischwasser.
  • Die Abwasserrohre aus Steinzeug, Beton oder Kunststoff haben eine Lebensdauer von ca. 60–80 Jahren.
  • Hohe Kosten: Immer wieder müssen Störungen in den Pumpwerken behoben werden – Rohre, Technik und Anlagen werden durch das falsche Entsorgen von Feuchttüchern bis hin zu Windeln beschädigt.
  • Problematisch ist der Einwohnerrückgang, denn je weniger Menschen, desto weniger Schultern zum Tragen der Gebühren.
  • Abwasserverbände finanzieren sich aus den Gebühren. Für neue Schmutzwasserkanäle ist man auf Fördermittel vom Land und der EU angewiesen.

Kommentar der KOWA MV und des BDEW: Kritik am Landeswassergesetz

* BDEW: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
** KOWA MV: Kooperationsgemeinschaft Wasser und Abwasser MV e.V.

Bereits vor einem Jahr wurde die Wasserwirtschaft um Stellungnahme zur dringend nötigen Reform des Gesetzes zur Neuregelung des Landeswasserrechts in MV gebeten – dies haben beide Verbände ausführlich getan. Nach dem Kabinettsbeschluss wurde am 24. Juni 2025 der Entwurf einschließlich der Begründung veröffentlicht. Nun folgt das parlamentarische Verfahren mit Beratung und Beschlussfassung des Landtages.

Die Punkte aus unseren Stellungnahmen wurden im bisherigen Entwurf leider nur unzureichend berücksichtigt. Wir hoffen daher, unsere Anregungen im parlamentarischen Verfahren – insbesondere bei den  Anhörungen in den zuständigen Fachausschüssen – erneut einbringen und überzeugend darlegen zu können. Besonders wichtig ist uns, dass das Wasser-
entnahmeentgelt künftig viel stärker zweckgebunden im engeren Sinne eingesetzt wird. Es ist nicht einzusehen, warum die Unterhaltung der Hochwasser- und Küstenschutzanlagen an Gewässern von unseren Gebührenzahlern mitfinanziert werden sollten!
Ebenso sehen wir es sehr kritisch, dass die Wasserversorgungsunternehmen zukünftig die Versorgung in Not- und Krisensituationen sicherstellen sollen – eine Aufgabe, die auf Grundlage eines Bundesgesetzes bisher auf Landkreisebene organisiert werden muss.

Unsere Branche steht vor einem enormen Reinvestitionsbedarf. Zudem verschärfen sich die gesetzlichen Anforderungen (Bundes-
ebene) an die Trinkversorgung und Abwasserreinigung stetig. Gerade in Bezug auf die Belastungen, die diese Änderungen mit sich bringen, gilt es bei landesrechtlichen Anforderungen Maß zu halten, um unsere Kundinnen und Kunden nicht zu überlasten.

Frank Lehmann,
Vorsitzender der KOWA MV**

David Schacht,
Vorsitzender der Wasserwirtschaft MV im BDEW*

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