Herausgeber: Wasser- und Abwasser­verband Rathenow

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Mitglieder des Freundeskreises der Kapelle und des Gemeindekirchenrats (von links): Manuela Kästner, Gerlinde Smeja, dahinter Gerd Dehnhardt, Magdalene Wohlfarth, Marie Steckler, dahinter Lothar Kahle, Gerlinde Lelke und ganz rechts Hannelore Proske.
Foto: SPREE-PR/Leue

Geschichten aus unserem Havelland

Umzug mit Kapelle: Jerchels neue Kirche stand zuvor in Kleinwudicke

Berge versetzen konnten angeblich schon viele Menschen, sogar rein mit ihrer Willenskraft. Aber eine Kirche im Havelland? Geht auch! Zu sehen in Milower Land, Ortsteil Jerchel. Dort steht eine Kapelle, die noch vor nicht allzu langer Zeit im 15 km entfernten Kleinwudicke stand. Nun ist sie das Schmuckstück im Ortskern des 1350 erstmalig erwähnten Pfarrdorfs, das durch flämische Siedler gegründet wurde.

Der spektakuläre Umzug hatte im Frühjahr 2022 begonnen – und zwar Stein für Stein, Balken für Balken. Seit ihrer offiziellen Einweihung am neuen Ort kann die Kapelle als Fahrrad- und Kulturkirche genutzt werden. Radler können für eine kurze Rast einkehren oder andere Besucher unterschiedliche Angebote wahrnehmen: Von der Yogastunde bis zur Veranstaltung der Landfrauen oder einer Fahrradandacht ist alles möglich. Ein Ort der Einkehr im umfassenden Sinne solle die „Kleine Kapelle am Weg“ werden, wünschte sich Magdalene Wohlfarth. Sie war bis 2022 die für Jerchel zuständige Pfarrerin und Initiatorin des Freundeskreises, der eigens für die „verrückte Kirche“ gegründet wurde.

Akute Baufälligkeit

Die ebenfalls für verrückt gehaltene Idee zur Umsetzung stammt nicht von ihr, sondern von Felix Menzel, Bürgermeister von Milower Land. Er kannte nämlich beide Seiten eines Problems, das die Ortsteile Jerchel und Kleinwudicke verband. Während in Kleinwudicke eine Kirche stand, die nicht nur wegen der akuten Baufälligkeit keine Gläubigen mehr anzog, gab es von denen zwar in Jerchel noch einige, nur hatten die keine Kirche. Und zwar schon seit 1982, als die alte Dorfkirche abgerissen und nur die Glocken erhalten wurden.
Das Ganze war eine perfekte Konstellation für eine Win-win-Situation – wenn dazwischen nicht die Frage des Denkmalschutzes gestanden hätte. Die Behörde musste mit einiger Mühe überzeugt werden. Da fiel die Finanzierung fast leichter, weil der Umzug zu 75 Prozent von der EU und zum großen Rest von der Kirche und durch Spenden bezahlt wurde.

Bedenken ausgeräumt

Die Kleinwudicker taten sich anfangs etwas schwer, ihre 1778 errichtete Kapelle in den Nachbarort versetzen zu lassen. Immerhin behielten sie ihre Glocken im Ort. Magdalene Wohlfarth hatte dagegen wenig Mühe, für den Umzug der Kapelle zu werben. Mit dem von ihr initiierten Freundeskreis verteilte sie Flyer im Ort. „Es gab sehr viele Befürworter, selbst unter den nichtgläubigen Dorfbewohnern.“ Logisch, könnte man sagen, wenn auf einen verwaisten Platz im Dorfkern eine neue alte Kapelle kommt, die als offener Veranstaltungsort quasi wieder etwas Stimmung in die Gemeinde bringt. Und obendrein Publicity, denn Medien aus dem ganzen Land berichteten über die außergewöhnliche Umzugskiste.

Filmreifer Umzug

Das rbb-Fernsehen kam sogar mehrmals mit einem Kamerateam, um eine Dokumentation zu drehen (die zu Jahresende laufen soll). Zu filmen gab es tatsächlich viel, vor allem die akribische Arbeit des Ab- und Wiederaufbaus. „Die Firma Timpe aus Premnitz hat dabei wirklich hervorragende Arbeit geleistet“, so Magadalene Wohlfarth. „Es wurde alles verbaut, was noch zu verwenden war, von den alten Fenstern bis zu den Steinen.“ Die wurden von einer Truppe Mädchen mühevoll abgeklopft und zur Wiederverwendung aufbereitet. Die im freiwilligen sozialen Jahr (FSJ)befindlichen Jugendlichen waren von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz/Jugendbauhütte vermittelt worden.

„Machmal“ statt Denkmal

Jetzt wo alles fertig ist und die nur acht mal vier Meter große Kapelle mit ihrem angebauten Küchen- und Sanitärtrakt als Kleinod den Dorfkern ziert, geht es darum, das Haus mit Leben zu füllen. Auch deshalb soll der Freundeskreis in einen Förderverein umgewandelt werden. Die Gemeindemitglieder sind willens, einen Ort der Begegnung zu schaffen und freuen sich auf die Kapelle als schicken Veranstaltungsort.

Einen Status als Denkmal genießt sie zwar nicht mehr, aber eine Art „Machmal“, also ein Ort, an dem man viel machen kann. Die kleine Kapelle von Jerchel an der Kreuzung von drei Radwegen könnte so bald zu einem kulturellen Dreh- und Angelpunkt für die Gemeinde und zu einem besonderen Anziehungspunkt im Westhavelland werden.

Nach dem Umzug steht die Kleine Kapelle in Jerchel genau an der Stelle, an der 1590 die Kirche Jerchel erbaut wurde. Der 25 Meter hohe Kirchturm wurde 1711 erweitert. 1982 musste die Kirche wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Im 15 Kilometer entfernten Kleinwudicke wurde die Kleine Kapelle 1778 errichtet, aber seit 1970 nicht mehr genutzt und war dem Verfall preisgegeben. 50 Jahre später – im Jahr 2020 – fiel der Entschluss, das alte Gemäuer zu retten und nach Jerchel zu versetzen. Nach dem Abbau der Kapelle und Aufbereitung der Baumaterialien zog die Kapelle 15 Kilometer um und wurde seit 2022 wiedererrichtet.

Jerchel ist ein altes Pfarrdorf (vermutlich erstmals 1350 erwähnt), in ruhiger Lage direkt an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. Der Ortsteil der Gemeinde Milower Land lädt seine Besucher zu langen, erholsamen Spaziergängen in die Feldmark und in den angrenzenden Naturpark Westhavelland ein. Heute leben hier rund 200 Einwohner und die veranstalten einiges, was Aufmerksamkeit über Jerchel hinaus bringt. Unter anderem das Ostfahrzeugtreffen, bei dem am 2. September wieder Fahrzeuge aller Art und Baujahre aus der DDR vorgeführt wurden. Ein Volksfest für Groß und Klein.

Wassersteckbrief Jerchel

Trinkwasser: Versorgung durch Wasserwerk Premnitz

Trinkwasseranschlüsse: 82

versorgte Einwohner: 198

Hauptleitungen: 4 km

Hausanschlussleitungen: 1,2 km

Anschlussgrad: 99,9 %

Schmutzwasser: Entsorgung durch die mobile Entsorgung zur Kläranlage Rathenow-Nord

nicht-leitungsgebundene Entsorgung: 198