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Foto: Sebastian Unger
Unserer Umwelt Zuliebe

Nationale Strategie für artenreiche Meere

Interview mit SPREE-PR für die WASSERZEITUNG MV/Nds. und SH

Mit dem Meeresbeauftragten Sebastian Unger

Wann haben Sie zuletzt das Meer gesehen, welches?

Erst letzte Woche (Ende Juni, Anm. d. Red.) war ich für eine Informationsveranstaltung zum Meeresschutz mit Bürger*innen an der wunderschönen Lübecker Bucht. Ich versuche möglichst häufig mit den Menschen an unseren Küsten direkt ins Gespräch zu kommen.

Welche Meere fallen in Ihre Zuständigkeit?

Als Meeresbeauftragter der Bundesregierung sehe ich es als eine meiner zentralen Aufgaben an, mich für unsere Meere vor Deutschlands Küsten einzusetzen. Neben Nord- und Ostsee nehmen wir als Bunderegierung aber auch die Meere weltweit in den Blick. Beispielsweise setzen wir uns dafür ein, dass das im letzten Jahr von der Staatengemeinschaft angenommene Hochseeschutzabkommen von möglichst vielen Ländern schnell ratifiziert wird und bald in Kraft treten kann.

Wie geht es unseren Meeren?

Es ist dringender denn je, die Meere zu schützen, denn sie sind in großen Teilen in schlechtem Zustand. Das ist vielfach wissenschaftlich belegt. Der Ozean ist so warm wie nie zuvor. Fischerei, Schifffahrt und die Einleitung von Schadstoffen belasten die Meere deutlich und seit langer Zeit – mit verheerenden Folgen für Tiere und Pflanzen.

Wo setzen Sie als Meeresbeauftragter an?

Gemeinsam mit den anderen zuständigen Bundesministerien ist das Bundesumweltministerium dabei, erstmals eine übergreifende Nationale Meeresstrategie der gesamten Bundesregierung zu erarbeiten. Damit wollen wir für unbelastete, artenreiche und produktive Meere sorgen – die Meere also schützen oder einen naturnahen Zustand wiederherstellen. Voraussetzung ist, dass wir Menschen die Meere naturverträglich nutzen. Dazu wollen wir konkrete Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene vereinbaren.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Ost- und Nordsee?

Sowohl die Ostsee als auch die Nordsee sind stark übernutzt und weit entfernt von einem guten Umweltzustand. Es gibt aber teilweise unterschiedliche Herausforderungen. Insbesondere die Ostsee ist stark überfischt, die Bestände von Dorsch und Hering sind dort erheblich reduziert. In den Meeresschutzgebieten der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone der Nordsee konnten wir erreichen, dass erste umfassendere Fischereibeschränkungen in Kraft getreten sind. Besondere Herausforderungen in der Nordsee ergeben sich unter anderem beim Schutz des Wattenmeers durch den Ausbau der Windkraft.

Welche kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen helfen?

Als Teil der Nationalen Meeresstrategie werden wir die Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee verbessern. Dazu gehört, dass wir zehn Prozent der Meeresflächen wirklich streng schützen wollen und damit Gebiete schaffen, in denen die Natur sich wieder frei entwickeln kann. Davon werden Mensch und Natur profitieren. Mit einem kürzlich angelaufenen Aktionsprogramm sorgen wir dafür, dass die Meere besser als natürliche Klimaschützer wirken können. Denn nur intakte Meere mit ihren Lebensräumen – wie Salz- und Seegraswiesen, Schlickgründen und Algenwäldern – können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie als Kohlenstoff-Speicher wirken. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium wollen wir auch dafür sorgen, die Fischerei natur- und umweltverträglicher zu gestalten und so auch eine dauerhafte Perspektive für diesen Wirtschaftszweig zu schaffen. Ich setze außerdem darauf, dass die Meere langfristig wieder sauberer werden können, wenn wir ein verbindliches Abkommen gegen Plastikmüll haben. Dafür setzt sich Deutschland auf internationaler Ebene intensiv ein und die entscheidenden Verhandlungen werden Ende dieses Jahres stattfinden.

Wie ordnen Sie die Arbeit der Wasserverbände, die sich vielerorts auch um die Abwasserreinigung kümmern, in den Kontext ein?

Die Verbände nehmen vielfältige, wichtige Aufgaben wahr. Neben der Abwasserreinigung gehören dazu auch der Hochwasserschutz oder Renaturierungsmaßnahmen. Damit leisten sie einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Gewässer und mittelbar auch zum Meeresschutz.

Wie passen Windräder, eine mögliche Kohlendioxidverpressung und das neue LNG-Terminal auf Rügen zum Ziel, die biologische Vielfalt zu schützen?

Diese Nutzungen sind zum Teil kurzfristig notwendig für unsere Energiesicherheit. Offshore Windenergie ist ein wichtiger Baustein der Energiewende und liefert damit einen wesentlichen Beitrag, zur Erreichung unsere Klimaziele. Konsequenter Klimaschutz ist zugleich ein Beitrag zum Meeresschutz, denn die marinen Ökosysteme leiden schon heute unter der zunehmenden Erwärmung. Wir müssen die Nutzung der Meere aber auch so naturverträglich wie möglich gestalten. Bei der Anbindung von Offshore-Windparks an die Küste werden beispielsweise Trassen durch das Wattenmeer geführt. Hier ist es zum Beispiel wichtig, auf Bauzeiten zu achten, die Zugvögel nicht stören, aber auch alternative Trassenführungen zu erwägen.

In der Lübecker Bucht gibt es ein aktuelles Projekt, stellen Sie das bitte kurz vor.

Dort wird nun zügig das Sofortprogramm für die Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten in der Nord- und Ostsee in diesem Sommer in seine erste praktische Phase einsteigen. Damit geht die Bundesregierung ein Problem an, dessen Dringlichkeit sich in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. 1,6 Millionen Tonnen Altmunition, vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg, lagern noch immer auf dem Boden der deutschen Nord- und Ostsee, etwa 50.000 Tonnen, verteilt auf etwa 400 sog. ‚Munitionshaufen, allein in der Lübecker Bucht. Diese Altmunition korrodiert nun zunehmend und setzt giftige Substanzen in die Meeresumwelt frei. In dieser Pilotphase wird zunächst am Markt verfügbare Erkundungs- und Bergungstechnik zum Einsatz kommen, um damit die zweite Phase, die Entwicklung und den Bau einer mobilen schwimmenden Entsorgungsanlage vorzubereiten.

Wie stehen die Chancen für ein weiteres geplantes Projekt im mecklenburgischen Großklützhöved?

Ein konkreter Zeitpunkt, zu dem in der Ostsee vor Mecklenburg-Vorpommern mit den Bergungsarbeiten begonnen werden kann, steht noch nicht fest. Eine erste Ausschreibung dortiger Pilotierungsarbeiten brachte kein verwertbares Ergebnis. Hier wird aktuell geprüft, ob und wenn ja, wann möglicherweise neu ausgeschrieben wird.

Kurz gefragt – kurz geantwortet

Unabhängig von Meeren, was fällt Ihnen spontan zu Wasser ein?

Derzeit leider, dass wir immer häufiger zu viel oder zu wenig davon haben. Sonst denke ich lieber an Paddeltouren mit Familie und Freunden auf der heimischen Havel.

Wo ist ihr Lieblingsort am Wasser?

Die Peterswarf auf Hallig Langeness. Dort durfte ich 15 Monate Zivildienst im Nationalpark Wattenmeer leisten. 

Wie trinken Sie Ihr am Wasser am liebsten?

Frisch aus der Leitung.

Wobei läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen?

Als gebürtiger Bremer, einmal im Jahr bei Kohl und Pinkel.

Kurzvita

Der Biologe Sebastian Unger ist Meeresbeauftragter der Bundesregierung und Unterabteilungsleiter für Meeresschutz im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Von 2011 bis 2022 leitete er die Forschungsgruppe Governance der Meere am Institut für Nachhaltigkeitsforschung (RIFS) in Potsdam. Dort initiierte er zahlreiche internationale Forschungsinitiativen und beriet Regierungen und internationale Organisationen. Zuvor arbeitet er für die OSPAR-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks in London und verhandelte dort Regularien zum Meeresschutz, u.a. für die Entwicklung des weltweit ersten Netzwerks von Meeresschutzgebieten auf der „Hohen See“. Von 2004 bis 2007 koordinierte Unger internationale maritime Angelegenheiten im Auswärtigen Amt.