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Herausgeber: Wasser- und Abwasser­verband Rathenow

Herausgeber: Wasser- und Abwasser­verband Rathenow

Unser Zeichner hat seine ganz eigene Deutung für die Redewendung »Jemandem das Wasser abgraben« gefunden, richtig?
Karikatur: SPREE-PR

Deutsche Sprache – bildreiche Sprache

WIR werfen Sie nicht ins kalte Wasser!

Es ist doch verwunderlich. Heutzutage verwenden wir im Alltag Begriffe, an die sich wenige Jahre später schon kaum noch jemand erinnern kann. Oder man meidet ihre Benutzung, um nicht als „uncool“ zu gelten. Schon die Krönung zum „Jugendwort des Jahres“ und damit Aufstieg zur Mainstream-Sprache kann den linguistischen Todesstoß bedeuten. Andererseits verharren Redewendungen aus dem Mittelalter – oder noch früheren Jahrhunderten – wie selbstverständlich im tief verwurzelten Sprachschatz aller Generationen. Wasser in all seinen Erscheinungen und Verwendungen diente seit jeher als beliebte Metapher für unmissverständlichen Ausdruck. Ein paar Beispiele gefällig?

»Jemandem das Wasser abgraben«
… i.S.v. einem Menschen Schaden zufügen

Diese Redensart stammt aus dem Mittelalter und wird verschiedenen Lebensbereichen zugeschrieben. Wer einem Bauern „das Wasser abgrub“, verhinderte das Bewässern seiner Felder und gefährdete dessen Ernteertrag. Ein Müller ohne Wasser am „klappernden Bach“ hatte nur ein müdes Mühlrad und konnte kein Mehl mahlen. Und eine Wasserburg ohne Wassergraben war für Feinde deutlich einfacher einzunehmen!


»Stille Wasser sind tief«
… i.S.v. unscheinbar, überraschend gedankenreich

Zu diesem Sprichwort kann nur spekuliert werden. Einige Quellen verweisen auf das Lustspiel „Stille Wasser sind tief“ (1786) von Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816). Und jeder Meeresbiologe würde der Metapher sicher zustimmen, dass man besonders tiefen Gewässern nicht an der sanftwelligen Oberfläche ansehen kann, was sich am Boden verbirgt. So geben sich auch manche Menschen: Ihre wahren Gefühle und Fähigkeiten sieht man ihnen nicht sofort an.


»Das Wasser nicht reichen können«
… i.S.v. nicht gleichwertig sein

Hier liegt der Ursprung im Mittelalter, als nicht nur Menschen niederer Stände hauptsächlich mit ihren Händen aßen. Immerhin „durften“ auserwählte Diener oder Edelknaben ihren Herrschaften nach jeder Mahlzeit Wasser zum Händewaschen reichen. Ein einfacher Knecht oder Küchenpersonal – oh Graus! – hätte das natürlich nicht gedurft. Insofern galt es als Privileg, bei Festessen das Wasser reichen zu dürfen.


»Mit allen Wassern gewaschen«
… i.S.v. gerissen und erfahren sein

Jemand ist durch Lebenserfahrung nahezu unverwundbar geworden oder zumindest schwer zu täuschen? Dann ist er oder sie „mit allen Wassern gewaschen“, und man schreibt ihr oder ihm Schlauheit und Cleverness im Umgang mit herausfordernden Situationen zu. Der Ausspruch geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und kommt aus der Seefahrt. Wer verschiedene Weltmeere bezwungen hat, kennt tatsächlich „alle Wasser“ und weiß diese zu meistern.


»Blut ist dicker als Wasser«
… i.S.v. Familienbeziehung ist Trumpf

Das Sprichwort ist 250 v. Chr. entstanden und eines der ältesten, die man heute noch kennt. Es meint, dass familiäre Bindungen, vor allem die mit derselben Blutlinie, wertvoller sind als alle anderen Beziehungen. Und in jenen fernen Zeiten wurden Verträge mit dem Blut von Tieren besiegelt. Dies galt als besondere Stärke.


»Mir steht das Wasser bis zum Hals«
… i.S.v. in einer bedrohlichen Lage sein

Auch das darf man wörtlich nehmen. In Zeiten ohne Hochwasserschutz konnte Menschen aufgestautes Wasser schon mal bedrohlich bis zur Gurgel steigen. Zurückverfolgen lässt sich die Redensart bis ins 17. Jahrhundert, um große Not oder Bedrängnis zu beschreiben. Wer kurz davor ist, von Problemen überwältigt zu werden, ähnelt jemandem, der im Wasser kaum noch atmen kann.


»Kein Wässerchen trüben können«
… i.S.v. absolut harmlos sein

Fabeln leben von scharfen Kontrasten. Beispiel: Wolf und Lamm. In einer Fabel des griechischen Dichters Äsop (6. Jh. v. Chr.) trinken Wolf und Lamm aus demselben Fluss. Der Wolf tötet das Lamm, weil es ihm angeblich sein Wasser verschmutzt hat. Doch i wo, das niedliche Wollknäul war unschuldig und hatte nie (!) auch nur das geringste Wässerchen getrübt. Immerhin wurde sein lammfrommes Verhalten ca. seit dem 13. Jahrhundert als Sinnbild für Harmlosigkeit gebraucht.

Drei Fragen an …

Gerhard Wagner, Autor des Bestsellers „Schwein gehabt! Redewendungen des Mittelalters“

Drei Fragen an …

Gerhard Wagner, Autor des Bestsellers „Schwein gehabt! Redewendungen des Mittelalters“
Buchautor Gerhard Wagner
Foto: privat

Warum war ausgerechnet das Mittelalter so eine reiche und unvergessene Quelle für Sprachbilder?

Man müsste korrekt sagen, AUCH das Mittelalter war eine reiche Quelle. Redewendungen aus der Antike, der Bibel und der Natur habe ich ebenso in Büchern erläutert. Manchmal ist deren Erhaltung bis heute schwer verständlich. Beispiel: „Etwas auf dem Kerbholz haben“. Seit 200 Jahren hat doch niemand mehr ein Kerbholz in der Hand gehabt – eine dazumals weit verbreitete Quittung/Rechnung für Schuldner.

Im späten Mittelalter, also im 15./16. Jahrhundert, entwickelte sich die deutsche Hochsprache. Bis dahin gab es etliche regionale Dialekte, im Adel dominierte Französisch, an Bildungseinrichtungen Latein. Manche Redewendungen gebrauchen wir gar nicht mehr im ursprünglichen Sinne, manche sind verschwunden, andere wurden durch neue abgelöst.

Gibt es einen Ursprung für eine Redewendung, die Sie überrascht hat?

Oh ja! „Einen Zahn zulegen“ wurde lange mit einer speziellen Vorrichtung in Burgküchen erklärt. Über dem Feuer im Kamin konnte man Töpfe an einer gezackten Stange höher oder tiefer hängen, um den Garprozess zu beschleunigen oder zu verlangsamen. „Einen Zahn zulegen“ hieße also, näher an die Flammen, das Essen wird schneller heiß. Doch das ist falsch!

Die Redewendung war vor 1900 nicht bekannt. Sie entstand in den Anfangsjahren des Automobilbaus. Fahrzeuge hatten damals kein Gaspedal, sondern außen – neben der Handbremse – eine Zahnstange zum Beschleunigen. Insofern bedeutet „einen Zahn zulegen“, schneller zu werden. Und so meinen wir es ja bis heute.

Woher stammt eigentlich Ihre Faszination fürs Mittelalter?

Das ging beim Zivildienst los, den ich in einer Jugendherberge auf einer Burg leistete. Anschließend studierte ich Germanistik und Geschichte auf Lehramt. Als damals keine Lehrerstelle frei war, machte ich Kulturarbeit in Marburg. 1977 wurde ich Mitglied der Deutschen Burgenvereinigung e. V. und 2001 deren Geschäftsführer. Dieser ist traditionell „Burgvogt“ auf der Marksburg am Rhein – mit Residenzpflicht! Bis zu meiner Pensionierung 2021 lebte meine Familie also selbst auf einer Burg. Dort werden die Führungen mit Redewendungen aus dem Mittelalter bereichert, woraus das Buch entstand.

„Schwein gehabt! Redewendungen des Mittelalters“
Verlag REGIONALIA
ISBN: 978-3-939722-31-1
Foto: Verlag