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SACHSENS PERSÖNLICHKEITEN

„Ich möchte hundert Jahre alt werden“

Skisprunglegende Jens Weißflog im WASSERZEITUNG-Interview

Jens Weißflog siegte bei Olympia 1984 in Sarajevo und 1994 in Lillehammer, war Weltcupgesamtsieger und gewann vier Mal die Vierschanzentournee. Der Beifall über seine Erfolge ist ungebrochen. Das findet selbst Überflieger Weißflog verrückt. Ein Gespräch über die Faszination des Skispringens, einen hellgrünen Trabbi und über Lebensziele.

Jens Weißflog ist der erfolgreichste deutsche Skispringer. Seine Fans mögen seine Heimatverbundenheit, seine humorvolle und besonnene Art.
Foto: Jens Weißflog

Herr Weißflog, Sie sind rund 21.500 Mal von einer Schanze gesprungen. Ist Skispringen hauptsächlich die Kontrolle über Angst oder maximale Konzentration?

Es ist zu neunzig Prozent wie Autofahren. Es sind Abläufe, über die man nicht weiter nachdenkt, wie, wenn man im Auto einen Gang höher schaltet. Die anderen zehn Prozent sind Gegebenheiten, die die Routine beim Sprung auseinanderpflücken können. Der größte Störenfried eines perfekten Sprunges heißt Wind. Man sieht ihn nicht, sondern man spürt nur diese mächtigen Kräfte. Jede Windsituation ist neu. Es gab Momente, da betrachtete ich den Wind in den Bäumen und wusste: heute ist kein guter Tag für einen Absprung.

Wie kamen Sie zum Skisprung?

Als Sportaktivität rückte für mich als Kind in erster Linie die Nordische Kombination in den Fokus. Doch zum Laufen war ich zu faul. Somit blieb es beim Skisprung. Als ich dann zur Kinder- und Jugendsportschule in Oberwiesenthal kam, stand für mich fest: „Ich will Olympiasieger werden“. Mein Idol, der Oberwiesenthaler Ulrich Wehling, der dreimal Olympiasieger in der Kombination wurde, bekam als Preis einen neuen Wartburg. Das Auto wollte ich auch. Ich konnte mir – nach meinem Sieg in Sarajevo – einen hellgrünen Trabbi kaufen. Immerhin ohne Wartezeit und mit Sonderausstattung.

1984 fuhren Sie und alle anderen DDR-Sportler 36 Stunden mit dem Zug zu Olympia ins damalige Jugoslawien – statt zwei Stunden zu fliegen. Hatten Sie damals innerlich mit dem Kopf geschüttelt?

Die Zugfahrt empfand ich als angenehmen.Trainingsmethodisch war so eine lange Reise natürlich völliger Irrsinn, weil wir Sportler uns kaum bewegen konnten. In einem der Waggons gab es eine Art Trainingsraum mit Fahrradergometern auf denen sich alle abwechselten. Die DDR hielt dies möglicherweise für sicherer. Ein Jahr zuvor, zu den vorolympischen Wettkämpfen, saßen wir jedenfalls im Flugzeug zu den Austragungsstätten.

Wer war in Ihrer Karriere Ihr engster Vertrauter, Ihr größter Unterstützer?

Mein Trainer Joachim Winterlich. Er war viele Jahre mein Motivationscoach und Technikberater, erst im Parallel-, dann beim V-Stil. Wir durchlebten gemeinsam alle Höhen und Tiefen. Mit ihm feierte ich meine ersten Erfolge. Eine Zeitung betitelte ihn zu Recht als „Skisprung- Jahrhundert-Trainer“.

Rückblickend, was war Ihr bester Sprung?

Das war mein letzter Sprung am 15. Juni 1996 von der Fichtelbergschanze. Das Abschiedsspringen war als Geste an meine Fans gedacht. Ich wollte mich nach 15 Jahren Spitzensport verabschieden. Es gibt wenig Sprünge, bei denen man alles fühlt, doch an diesem Tag war alles perfekt. Das hat mit der Psyche zu tun. Die Anspannung in den Wettkämpfen war immer extrem hoch. Nun war der Druck weg, ich war frei, frei von Erwartungshaltungen. An diesem Tag sprang ich zweimal Schanzenrekord von 102 Metern.

Hatten Sie bei den Wettkämpfen einen Glücksbringer dabei?

Ganz ehrlich, Sportler glauben an jeden Quatsch! Ich hatte einen Pullover mit einem Tigerkopf immer dabei – ich wollte bissig sein, mich
durchbeißen.

Bei Interviews zu DDR-Zeiten im Westfernsehen waren Sie nie allein mit dem Moderator. Kamen Sie sich bevormundet vor?

Ich kannte das nicht anders. Eine Episode, die ich wirklich befremdlich fand war diese: Mein erster Besuch im „Aktuellen Sportstudio“ 1985 zur Weltmeisterschaft. Beim Interview saß der Generalsekretär des DDR-Skiläuferverbandes neben mir. Für die Auftritte gab es rund 200 D-Mark. Er sagte dann, dass wir das nicht annehmen, die DDR sei nicht käuflich. Ich dachte nur, oh Mann, davon hätte ich mir doch eine gute Bohrmaschine oder etwas anderes kaufen können.

„Er ist unser Held“ – das sagt Ihre große Fangemeinde auch heute noch. Wenn Sie den Raum betreten, applaudieren die Leute. Wie erklären Sie sich das?

Oft denke ich: Das ist wirklich verrückt. Vielleicht ist es die Faszination des Skispringens, nur wenige probieren das mal aus. Viele erfolgreiche Sportler werden heutzutage in der Medienlandschaft schnell verbrannt. Früher hatte man mehr Zeit zum gemeinsamen Fernsehen. Der Wintersport war damals ein Familienereignis und viele erinnern sich daran zurück. Nach meiner Sportlerkarriere war ich noch lange für die Zuschauer als Skisprung-Experte beim ZDF präsent.

Haben Sie sich mit Ihrem Hotel neu erfunden?

Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich nach meiner Sportkarriere machen wollte. 1995 begann meine letzte Saison, in diesem Jahr gab es auch die Idee zu einem Hotel unter meinem Namen. Mehrere Gesellschafter und ich kauften das „Mielke-Heim“, das ehemalige Ferienheim der Staatssicherheit, hier in Oberwiesenthal von der Treuhand und bauten es bis Herbst 1996 um.

Stichwort Erholung und Tourismus im Erzgebirge. Was hat sich verändert?

Hier am Fichtelberg haben wir keinen Massentourismus. Im Sommer kommen die Urlauber, um sich von der Hitze in den Städten zu erholen, kühle Abende gibt es oft bis in den Juli hinein. Beim Wintersport war es früher so: Wir haben uns nach der Natur gerichtet. Wenn der Schnee kam, sind wir Ski gefahren, heute muss der Schnee pünktlich zur Urlaubszeit parat sein. Unser Skigebiet muss dringend modernisiert werden. Die Wintersportler wandern nach Tschechien ab, denn Schlepplifte sind nicht mehr angesagt, die Leute wollen bequem per Sessellift auf den Berg. Und: Skifahren ist teurer geworden, auch im Nachbarland. Einige lehnen es aus Umweltaspekten ab. Der Trend geht Richtung wandern und vor allem rodeln, doch auch dafür braucht es Schnee.

Zu Ihrem 60. Geburtstag, im Juli 2024, haben Sie Ihr Museum eröffnet. Haben Sie noch weitere Pläne auf Lager?

Ich habe viele Ideen zum Umbau des Hotels. In einigen Jahren möchte ich allerdings nur noch Hausmeister sein, den Rasen mähen und zum Kaffeeklatsch vorbeikommen. Zu meinem 60. Geburtstag fragte ich mich: Was möchte ich in der mir verbleibenden Lebenszeit machen? Die Antwort: Vor allem geht es mir um viele Erlebnisse, gemeinsam mit der Familie. Und ich möchte gern hundert Jahre alt werden. Dafür muss ich aber etwas mehr Sport machen…

Vielen Dank für das Gespräch!
Nordische Skiweltmeisterschaft 1985 in Seefeld

Viele Pokale und beeindruckende sportliche Momente: Am 21. Juli 2024 eröffnete Jens Weißflog in seinem Hotel ein Museum, das an seine Erfolge erinnert.
Fotos: SPREE-PR/Wolf; S/W: werek Bildagentur