
Heike Herrmann ist eine Frau, die viele „Hüte“ aufhat: Verbandsvorsteherin des TAZV Oderaue (Eisenhüttenstadt), Vorstandsvorsitzende der Kooperation Wasser und Abwasser Brandenburg (KOWAB) Ost, Leiterin der Arbeits-gruppe Wasser/Abwasser im Landesverband Berlin-Brandenburg des Verbandes kommunaler Unternehmen (VkU) und Vorstandsmitglied des Landeswasserverbandstages (LWT) Brandenburg.
Foto: SPREE-PR/Arbeit
Brandenburg
„Wir brauchen praktikable, unbürokratische Vorgaben!“
Für die Abwasserentsorger in Brandenburg läuft der Countdown: Bis Mitte 2027 muss die neu gefasste Kommunalabwasserrichtlinie (KARL) der Europäischen Union – seit Anfang 2025 in Kraft – in nationales Recht umgesetzt werden. Schon heute üben sich die kommunalen Unternehmen der Branche alles andere als in stiller Geduld, wie unser Besuch in Eisenhüttenstadt verdeutlicht.
Wenngleich die Verbandsvorsteherin des TAZV Oderaue den Vorschusslorbeeren für KARL beipflichtet („Meilenstein für den Gewässerschutz“), weiß Heike Herrmann nur zu gut um die verbliebenen Hausaufgaben. Es müssten zügig die Vorgaben für die dritte und die neue vierte Reinigung auf den Kläranlagen her und, bitte!, eine bürokratiearme Umsetzung der zu erwartenden Berichtspflichten.
Und gleichzeitig hebt die Wasserwirtschaftlerin im neuen Podcast „WZ – das Gespräch“ (bei deezer/spotify u. a.) hervor: „Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass die kommunale Abwasserwirtschaft nur einen Teilbeitrag zum Gewässerschutz leisten kann. Es gibt noch viele andere Akteure, die ebenfalls gefordert sind.“ Dazu gleich mehr.
Erst sind die „Großen“ dran
Insbesondere der Fokus auf die noch bessere Beseitigung von Stickstoff und Phosphor (3. Reinigungsstufe) sowie – für die meisten komplett neu! – Spurenstoffe, Arzneimittelreste und Mikroplastik (4. Stufe) aus dem Abwasser wird die kommunalen Unternehmen herausfordern. „Es gibt für die technische und bauliche Umsetzung einen konkreten Zeitplan“, erläutert Heike Herrmann. „Die neue Viertbehandlung wird es zwar auch für die meisten kleineren Anlagen bis 150.000 Einwohnergleichwerte geben, aber erst später als für die Großen avisiert.“ Schon heute gelten bei uns für den Ablauf aus Kläranlagen im Vergleich mit anderen europäischen Ländern deutlich schärfere Anforderungen, die zudem permanent überwacht werden. „In Deutschland müssen die Grenz-werte im Kläranlagenablauf in einer qualifizierten Stichprobe eingehalten werden – zu jedem Zeitpunkt des Tages! Anderswo genügt eine 24-Stunden-Mischprobe, also ein Mittelwert.“
Es geht dabei um viel Geld
Mit der Umsetzung der Kommunalabwasserrichtlinie rücken die Kläranlagen nun der wachsenden unsichtbaren Fracht zu Leibe, die (noch?) unvermeidbar ist. Denn Arzneimittel werden vom Körper nicht komplett absorbiert, viele Kosmetikartikel wie Cremes und Schminke enthalten Mikroplastik – all das landet im Abwasser. „80 Prozent der Investitionskosten für die sogenannte 4. Reinigungsstufe und auch 80 Prozent der späteren Betriebskosten sollen von den Herstellern von Arznei- und Kosmetikprodukten getragen werden“, beschreibt die Verbandsvorsteherin das in der KARL verankerte Verursacherprinzip (Herstellerverantwortung). Sie ist „sehr gespannt“ auf – so der Wunsch – eine praktikable Lösung, wie die Kläranlagen-Betreiber ihre finanziellen Ansprüche zeitnah und ohne überbordende Bürokratie geltend machen können. „Am Ende des Tages geht es für uns um sehr viel Geld!“
Und noch eine Baustelle
Während die kommunale Abwasserwirtschaft die Detailvorgaben für KARL erwartet, um mit konformen Lösungen vor Ort loszulegen, gibt es noch eine weitere „Baustelle“: den Klärschlamm. „Was uns die Klärschlammverordnung von 2017 verpflichtend vorgibt, kann ein einzelner Betrieb kaum alleine lösen. Zusammen ist man stärker“, verweist Heike Herrmann beispielhaft auf die KLAR Kooperation Lausitzer Abwasser Recyc-ling GmbH – eine gemeinsame Initiative ihres TAZV Oderaue mit der FWA Frankfurt (Oder) und der LWG Cottbus. „Wir haben zusammen genug Kapazitäten, um eine Anlage wirtschaftlich betreiben zu können und den lebenswichtigen – und endlichen! – Phosphor rückzugewinnen.“ Die KLAR bemüht sich um weitere Mitgesellschafter in Ostbrandenburg und Sachsen, die den eingeschlagenen Weg begleiten. „Wir bieten eine flächendeckende Lösung auch für kleinere Verbände an, die dann für ihre Zukunft eine sichere Entsorgungsvariante haben.“ Alle Anlagen zum Phosphor-Recycling, die bislang geplant sind, befinden sich außerhalb von Brandenburg.

Kommentar
Ohne funktionierende Kläranlagen keine ökologisch intakten Gewässer, kein sauberes Grundwasser und damit auch keine Basis für eine jederzeit sichere Versorgung mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser. Abwasserbehandlung ist die zentrale Säule des Gewässerschutzes, die EU-Kommunalabwasserrichtlinie ist die zentrale rechtliche Säule der Abwasserbehandlung.
Mit der Novellierung hat die Europäische Union nach über 30 Jahren die Richtlinie an die Gegenwart angepasst und die Anforderungen – zum Teil deutlich – verschärft.
Rückstände von Arzneimitteln sind in jedem Gewässer nachweisbar. Mit der bewährten Kläranlagentechnik lassen sich diese nicht aus dem Abwasser herausfiltern, sie gelangen in die Gewässer. Die EU schreibt jetzt einen großflächigen Ausbau von Kläranlagen um eine vierte Reinigungsstufe vor. Viele Arzneimittelrückstände können damit um weit über 90 Prozent abgebaut werden. Eine Herausforderung für die Abwasserwirtschaft – aber auch ein Meilenstein für den Schutz unserer Gewässer.
Dr. Lisa Broß,
Sprecherin Bundesgeschäftsführung
Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA)