Nanocarbon im Praxistest: Umfangreiche Laboranalysen werden zeigen, ob die flüssige Substanz auf Kohlenstoffbasis bei der Beseitigung von Schadstoffen und Mikroplastik hilfreich ist und eine 4. Reinigungsstufe ersetzen kann.
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Sachsen-Anhalt
Warum Nanocarbon auf Kläranlagen künftig eine wichtige Rolle spielen könnte
Auf der Kläranlage des WAZV „Bode-Wipper“ in Staßfurt stehen sie, die großen schwarzen Kunststoffbehälter. Darin enthalten: Nanocarbon. Mit Hilfe einer Dosieranlage gelangt die Flüssigkeit in die beiden Belebungsbecken, also da hinein, wo Bakterien das Abwasser „sauberfressen“. Zwei Liter pro Stunde werden in die über 5.000 Kubikmeter großen Becken gegeben. Ein Testlauf, um neue Wege in der Abwasserreinigung zu gehen.
„Von Juli bis in den Herbst dieses Jahres lief das Pilotprojekt, ein 75-Tage-Test. Wir haben in dieser Zeit regelmäßig Abwasserproben entnommen“, sagt Dennis May, Leiter der Kläranlagen des WAZV. Die Proben werden im Labor ausgewertet und sollen wichtige Erkenntnisse zum Einsatz des „Schadstoffkillers“ liefern. Nanocarbon wurde von einem Unternehmen mit Stammsitz in Österreich entwickelt und mittlerweile patentiert. Durch physikalische Vorgänge sowie durch die Aktivierung biologischer Prozesse können damit Mikroverunreinigungen, künstlich hergestellte Spurenstoffe und multiresistente Keime gebunden werden. Wie ein Magnet zieht Nanocarbon diese Schadstoffe an.
Erkenntnisse sammeln
Nanocarbon gilt als unbedenklich, wird nicht als umweltgefährdend eingestuft und hat keine Wassergefährdungsklasse. „Wir konnten beobachten, dass im Klärschlamm eine größere Flockung entsteht“, erklärt Dennis May. Wie an einem Wattebausch bleiben die Rückstände „kleben“. Im weiteren Verlauf der Abwasserreinigung setzt sich der Klärschlamm mit den gebundenen Mikroschadstoffen ab und wird wie gewohnt entwässert. Die Schadstoffe bauen sich bei den Faulungsprozessen jedoch nicht ab. Der Restschlamm muss in die Verbrennung und kann nicht als phosphathaltiges Düngemittel verarbeitet werden.
Bundesweit sucht die Abwasserbranche nach neuen Wegen, Arzneimittelrückstände sowie Mikroplastik aus dem Abwasser zu entfernen. Nanocarbon könnte eine Lösung sein, auf eine zusätzliche vierte Reinigungsstufe zu verzichten, denn diese weitere Reinigungsetappe wird ab einer bestimmten Kläranlagengröße künftig von der EU-Kommunalabwasserrichtlinie gefordert. Für Verbände mit großen Kläranlagen hieße das: Umbauen und große Investitionen tätigen. Mit Nanocarbon könnte man diesen teuren Weg möglicherweise umschiffen.
Auch die Abwasserbeseitigung Weißenfels, Anstalt des öffentlichen Rechts, hatte bereits mit dem Thema Nanocarbon Kontakt zum österreichischen Unternehmen. In Sachen Innovationen arbeitet die AöR in einem Arbeitskreis beim Kompetenzzentrum Wasserwirtschaft mit Sitz in Halle mit. Und: „Bereits im August 2023 entstand ein Wissensaustausch mit der GMBU, der Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien e. V. aus Halle an der Saale. „Die Ingenieure versuchen, Alternativen zur Behandlung von Abwässern mit Ozon bzw. zum Einsatz von Aktivkohlefiltern zu entwickeln., sagt Mario Pöschmann, Vorstand der AöR.
Durch Engpass zu neuen Wegen
Doch in Weißenfels brachte eine Krise eine neue Lösung: Kläranlagen müssen bei der Reinigung des Abwassers Grenzwerte bei der Phosphorkonzentration einhalten. Um diese Grenzwerte einzuhalten, wird dem Abwasser ein Fällmittel, z. B. Eisen-III-Chlorid, zugegeben. Während der Coronakrise kam es zur Beschaffungsknappheit. Viele Verbände stellten auf alternative Fällmittel um, zwangsweise sozusagen. Doch: „Für uns kam das genau zur richtigen Zeit“, sagt Pöschmann. „In der Kläranlage Weißenfels wird jetzt ein Produkt eines österreichischen Herstellers verwendet. In Verbindung mit unserer Membranbiologie werden sehr gute Reinigungsergebnisse erzielt. Unsere Anlage ist seitdem für die GMBU als Testanlage für die 4. Reinigungsstufe nicht mehr interessant.“
Eine einheitliche Lösung zur Eliminierung der Rückstände wird es nicht geben. „Die Abwässer der einzelnen Regionen sind unterschiedlich. Im kommenden Jahr werden auch wir eine eigene Versuchsreihe starten“, sagt Verbandsgeschäftsführer Stephan Sterzik vom AZV Wipper-Schlenze. Möglicherweise wird die Wipper von den Behörden als sensibles Gewässer eingestuft. „Wir wollen vorbereitet sein und entsprechende Daten frühzeitig sammeln“, so Sterzik. Der Verband hatte bereits auf der IFAT in München Kontakt zu Experten aufgenommen.
Was ist die EU-Kommunalabwasserrichtlinie (EU-KARL)?
- Neuausrichtung der Anforderungen an die Reinigungsleistung von Kläranlagen für mehr Gewässerschutz, vor allem bei der Filterung von Medikamentenrückständen, Schadstoffen und Mikroplastik.
- Hersteller und Inverkehrbringer von Medikamenten und Kosmetik, auch außerhalb der EU, sollen 80 % der Investitions- und Betriebskosten für eine 4. Reinigungsstufe übernehmen.
- Experten schätzen, dass die Umsetzung der EU-KARL die Wasserwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten 20 – 25 Milliarden Euro kosten wird.
Was leisten moderne Kläranlagen derzeit?
- Durch Kläranlagen kehrt in Flüsse, die früher stark verschmutzt waren, seit Jahrzehnten die Natur zurück.
- Dies gelingt durch die Reinigung des Abwassers in 3 Schritten:
1. Grober Schmutz wird mechanisch mit Rechen und Absetzbecken entfernt.
2. In der biologischen Stufe fressen Milliarden Mikroorganismen gelöste Stoffe.
3. Anschließend wird Phosphat chemisch durch die Zugabe von Fällmitteln wie z.B. Eisen-III-Chlorid oder Aluminiumchlorid entfernt. - Doch Mikroverunreinigungen wie Medikamente und Industriechemikalien können nicht vollständig entfernt werden. Deshalb werden neue Technologien gesucht.